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Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 
Die Netzzeitung (23.1.2006) veröffentlichte eine ausführliche und euphorische Würdigung der Attila-Ambrus-Biographie von Julian Rubinstein, die hier auch schon an zweimal Thema war. Maik Söhler meint, dass auch wenn jemand schon Ekkehard Schwerks Bändchen über die Gebrüder Sass ("Die Meisterdiebe von Berlin) oder Vabanque (herausgegeben von Klaus Schönberger) gelesen habe, die Lektüre nicht nicht langweilig, sondern auch insgesamt "gelungen" sei, weil Rubinstein "nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt":

"Betrunken zur Arbeit"
Eine neue Biografie erzählt die Geschichte von Attila Ambrus. Der ungarische Bankräuber begegnete dem osteuropäischen Turbokapitalismus der Neunziger mit Verbrechen, für die er als moderner Robin Hood gefeiert wurde.

Von Maik Söhler

Wenn man noch nie eine Bankräuberbiografie gelesen hat, dann ist Julian Rubinsteins «Ballade vom Whiskeyräuber» eine wunderbare Einführung ins Thema. Hier erfährt man alles über das Leben und Wirken eines professionellen Verbrechers. Attila Ambrus war in Ungarn eine Zeit lang so berühmt wie Béla Bartók oder Imre Kertész.

Das Magazin «Magyar Hirlap» bezeichnete ihn einmal als «ausdauerndsten, umsichtigsten und meistgesuchten Bankräuber des Jahrhunderts» und übertrieb dabei nur wenig. 29 Bank-, Post- und Reisebüroüberfälle mit einer Gesamtbeute von 775.000 Euro können sich – egal wie man zur Aneignung fremden Geldes steht – sehen lassen.

Von Siebenbürgen nach Budapest


Aber auch wenn man schon mal ein Buch über Bankraub in der Hand hatte, etwa Ekkehard Schwerks «Die Meisterdiebe von Berlin» oder Klaus Schönbergers «Vabanque», langweilt diese im Dezember erschienene Veröffentlichung nicht. Denn Rubinstein weiß Ambrus’ Lebensgeschichte gut in die Zerfalls- und Neuformierungsprozesse eines kleinen Landes einzubetten, das den Staatssozialismus gerade abgeschüttelt hat und es nun mit den Problemen zu tun bekommt, die ein ungehemmter Kapitalismus erzeugt.

Die Person und das System – es geht also um beides in Rubinsteins Biografie, und der Autor macht schnell und überzeugend deutlich, dass diese beiden Aspekte hier nicht voneinander zu trennen sind. Und das liegt an der Zeit, in der die Geschichte spielt.

Als Attila Ambrus am 12. Oktober 1988 nach einer nicht ungefährlichen Flucht aus dem rumänischen Siebenbürgen zum ersten Mal den Boden Budapests betritt, regiert in Ungarn noch die Kommunistische Partei. Noch, denn sie wird schneller abtreten als Ambrus in der Hauptstadt Fuß fassen und ungarischer Staatsbürger werden kann.

Gnadenloser Goldrausch

In Ceaucescus Rumänien wurde er als Angehöriger der ungarischen Minderheit und wegen einiger Bagatelldelikte vom Geheimdienst Securitate beobachtet und musste sich als Hilfselektriker und Kirchenanstreicher durchschlagen. Das brachte nicht viel Geld, führte aber wenigstens gelegentlich zu einem Einkommen.

In Ungarn ist Ambrus’ ökonomische Situation von Beginn an noch prekärer. Er wird Platzwart beim nationalen Eishockeymeister UTE, wofür es aber kein Geld gibt. Als Entlohnung wird die freie Unterkunft in einem Kämmerchen des Vereinsgebäudes festgelegt. Mittlerweile ist der Sozialismus zusammengebrochen und das Land wird, wie Rubinstein schreibt, das «beliebteste Einfallstor für den größten und rücksichtslosesten Goldrausch der letzten Jahre.»

Sich selbst der Nächste


Wo riesige Fabriken verfallen, entstehen Spielcasinos und wo Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihre Existenzgrundlage verlieren, werden einige wenige durch den Ankauf ehemals staatlicher Betriebe plötzlich steinreich. Auch die Lücke, die Budapests KP-Nomenklatura in der städtischen Geldelite hinterlässt, wird schnell von der russischen Mafia geschlossen. Das führt zur höchsten Unzufriedensheitsrate aller osteuropäischen Staaten, die Ungarn haben die «freie Räuberei» rasch satt.

Das ist die Stunde des völlig abgebrannten UTE-Platzwartes, oder, in Rubinsteins Worten: «Jeder war sich selbst der nächste. Und mit diesem Motto hatte sich Attila Ambrus seit jeher identifiziert.» Nach einer kurzen Karriere als Pelzschmuggler zwischen Rumänien und Österreich merkt Ambrus, dass es in Budapest noch einfacher ist, an Geld zu kommen. Es liegt ja auf der Bank, beziehungsweise der Post, die viele Ungarn traditionell dem Bankwesen vorziehen. Und auch in Reisebüros ist was zu holen, da die Kundschaft dort häufig in bar bezahlt.

Whiskey vor der Tat

Und so beginnt Ambrus seine Serie von Überfällen. Am 22. Januar 1993 nimmt er sich seine erste Postfiliale vor und entkommt mit 548.000 Forint, etwa 5000 Euro. Es sind gleich mehrere Charakteristika, die der Budapester Polizei zeigen, dass sie es mit einem Neuen zu tun haben.

Der Bankräuber behandelt das überfallene Personal sehr höflich, verzichtet auf Gewalt – und ist betrunken. Anders gesagt: Attila Ambrus kann den Raub zwar nahezu perfekt und nüchtern planen, doch wenn der Einsatz ansteht, flattern seine Nerven so sehr, dass er vorher zur Whiskeyflasche greift oder sich in einer dem Überfallort nahe gelegenen Bar einige Whiskeys gönnt.

Deswegen nennt ihn die Presse den «Whiskeyräuber». Es folgen 28 weitere Raubzüge, mal allein, mal mit wechselnden Komplizen, meistens erfolgreich, fast immer gewaltfrei und immer angeheitert. Mehr als sechs Jahre lang ermittelt die Polizei, und in dieser Zeit wächst sein Ruhm und seine Beliebtheit.

88 Tore in fünf Wochen

T-Shirts mit dem Aufdruck «I love the Whiskey-Robber» werden gedruckt, halb Budapest sympathisiert mit ihm. Selbst Teile der Medien entdecken einen modernen Robin Hood, einen «Jungen von nebenan, der in einem ungerechten System über die Runden zu kommen versucht», wie es Rubinstein zusammenfasst.

Ganz nebenbei steigt Ambrus im Eishockeyverein auf: vom Platzwart zum Ersatztorhüter und schließlich zum Keeper des Profiteams. Dazu konnte es nur kommen, weil die UTE-Mannschaft ihre guten Zeiten bereits hinter sich hat. Ambrus’ Einsatz macht es nicht besser: «Attilas 1995/96-Saison als Stammtorwart des UTE war die vermutlich schlechteste Performance eines Torhüters in der Geschichte des Eishockeys überhaupt.» Er kassiert 88 Gegentore in fünf Wochen.

Haft bis 2016

Gute drei Jahre später wird Ambrus schließlich gefasst. Die Sicherheitsvorkehrungen der Banken sind besser geworden, und nach einem nur teilweise gelungenen Überfall versucht er über die ungarisch-rumänische Grenze zu entkommen. Dort aber wartet schon die Polizei auf ihn. Er wird angeklagt und wartet im Budapester Gefängnis Gyorskocsi Utca auf den Prozess.

Um nicht zu sagen: der Prozess wartet auf ihn und wird auch noch ein wenig warten müssen. Denn Ambrus bricht im Juli 1999 kurzerhand aus und löst damit, wie sein Biograf schreibt, «den Beginn der größten Verbrecherjagd in der Geschichte des postkommunistischen Europa» aus.

Noch drei Bankfilialen müssen dran glauben, bevor er am 27. Oktober erneut erwischt wird. Diesmal gibt es kein Entkommen, das Gerichtsurteil lautet «15 Jahre Haft», der Delinquent soll auf Anweisung der Richterin nicht in eine normale Haftanstalt kommen. Im Hochsicherheitsgefängnis von Sátoraljaújhely sitzt Attila Ambrus bis heute ein. Im Jahr 2016 soll er voraussichtlich entlassen werden, er wäre dann 49 Jahre alt.

Schaukasten Budapest

Julian Rubinstein hat ein hübsches Buch über Ambrus geschrieben. Man kann es trotz einiger Schwächen – die Distanz zwischen dem Biografen und dem Bankräuber ist oft zu gering, stellenweise sind die Charakterisierungen der handelnden Personen recht simpel, Teile der Handlung werden unnötigerweise ständig wiederholt – als ein gelungenes Schurkenstück bezeichnen. Johnny Depp hat sich die Filmrechte bereits gesichert.

Dass Rubinsteins Buch letztlich gelungen ist, liegt daran, dass er nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt.

«Budapest war ein Schaukasten für Scheiße geworden», schreibt er über die turbokapitalistische Besitznahme einer Stadt Mitte der neunziger Jahre, das «einen Kriminellen zum ersten international bekannten Symbol der eigenen modernen Kultur» machte.

Julian Rubinstein: Die Ballade vom Whiskeyräuber. Rogner & Bernhard 2005, 480 S, 21 Euro


 

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