AusstellungenMuseum
BankerInnen und PolizistInnen
Bankraub in Film und Fernsehen
Bankraub-Dokus - Themenabende usw.
Bankraub-Schriftsteller
Bankraub-Trends
Bibliographie der Volkskunde des Bankraubs
Biographien des Bankraubs
Blog-Review
Brecht-Zitat
Brutalisierung des Bankraubs
Buergerliches Recht
Edle Raeuber - Robin Hoods
Fluchttechniken
Geiz ist geil
GenderMainStreaming
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon
Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 
Werkstatt Geschichte 15 (2006), 42
------------------------------------------------------------------------
Editorial

Während der so genannten Chaostage im August 1995 hatten sich Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einem Hannoveraner Supermarkt mit Lebensmitteln versorgt, ohne den Gegenwert der Ware im Geschäft zu hinterlegen. Sie – und delikaterweise auch einige Anwohner, die die Gunst der Stunde nutzten – machten sich dadurch juristisch gesehen des Diebstahls schuldig. Ein Foto des geplünderten Supermarktes mit der Bildunterschrift „bargeldlos einkaufen“ fand in der Folgezeit Verwendung auf verschiedenen Plakaten, die zur Teilnahme an unterschiedlichen linken Veranstaltungen aufriefen. Dieser Slogan warb ursprünglich für
die verstärkte Nutzung von ec- und Kreditkarten. Seine Herauslösung aus dem ehemaligen Bedeutungszusammenhang und seine hier beschriebene Verwendung illustrieren auf ironisch-provokative Weise die Tatsache, dass „Diebstahl“ ebenso wie „Erwerb“ und „Eigentum“ Konzepte sind, die in jeder Gesellschaft verhandelt und definiert werden müssen. Die
gegenwärtigen Auseinandersetzungen um geistiges oder genetisches Eigentum führen ebenfalls vor Augen, dass allgemein gesetzten und gesellschaftlich mehr oder weniger akzeptierten Definitionen Aushandlungsprozesse vorausgehen. Jede Gesellschaft kreiert und kanonisiert nicht nur bestimmte Werte, sondern auch deren Gegenstück, das als deviant angesehene Verhalten.

Verkürzt gesagt, definiert sich eine Gesellschaft daher also auch
darüber, wen sie als Dieb betrachtet und behandelt. Die
gesellschaftliche Konstruktion von Diebstahl ist Gegenstand ständiger sozialer Aushandlungsprozesse. Sie unterliegt einerseits historischem Wandel. Andererseits können aber auch miteinander konkurrierende Konzepte zeitgleich nebeneinander existieren, wie es das eingangs erwähnte Beispiel zum Ausdruck bringt. Die Untersuchung eines zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer spezifischen Gesellschaft als deviant definierten Verhaltens kann daher Einblicke in diese Gesellschaft gewähren, konkurrierende Ordnungsentwürfe erkennbar machen und ggf. Konfliktlinien und Veränderungen aufzeigen.

Mit eben dieser Thematik befassen sich die in diesem Heft
zusammengestellten Beiträge. Sie setzen sich mit der sozialen Praxis von Diebstahl auseinander, in der sich Konstruktion und Selbstdeutung der Akteure begegnen. Dabei wird u. a. gefragt, welches Bild von „Dieben“ hergestellt und tradiert wurde. Wie ging man mit ihnen um? Oder anders herum gefragt: Wer waren die Diebe eigentlich? Was und warum stahlen sie? Welchen Einfluss hatten drohende und verhängte Strafmaßnahmen auf ihr Verhalten? Und welchen Einfluss hatten die Diebstähle auf Veränderungen in der Gesetzgebung und damit auf das Rechtsverständnis, das sich die Gesellschaft geben wollte?

Andrea Griesebner untersucht Diebstahlsprozesse, die im Laufe des 18. Jahrhunderts vor dem im heutigen Niederösterreich gelegenen Landgericht Perchtoldsdorf verhandelt wurden. Als Ausgangspunkt ihrer quellennahen Rekonstruktion von Strafnorm und Gerichtspraxis wählt sie die Frage nach den Kontexten des Diebstahls: Wie kamen die Diebstahlsfälle vor Gericht,
was haben die Männer, Frauen und Kinder gestohlen und wie wurde die landgerichtliche Verurteilung durch die Mitglieder des Gerichts
legitimiert? Als eines der wichtigsten Ergebnisse zeigt sich hier, dass die ortsfremden Diebe und Diebinnen mit größerer Wahrscheinlichkeit und mit härteren Strafen verurteilt wurden als die einheimischen.

Auch Rebekka Habermas widmet sich den kleinen und alltäglichen
Diebstahlsdelikten. Sie verknüpft die gerichtliche Verhandlung des
Diebstahls mit der Entstehung des modernen Rechtsstaates und macht damit die Verschränkung von Kriminalitäts- und Rechts-, Erfahrungs- und Diskursgeschichte deutlich. Am Beispiel des ländlichen Kurhessens stellt sie die im 19. Jahrhundert in großem Umfang aktenkundig gewordenen Eigentumsdelikte zum einen mit der Entstehung einer neuen Eigentumsordnung, zum anderen mit sich verändernden Ehrvorstellungen in Zusammenhang.

Den Sprung ins 20. Jahrhundert vollzieht Paul Lerner. Mit dem Zeitalter des Massenkonsums und dem Aufkommen moderner Warenhäuser entsteht auch eine neue Form des Diebstahls: die Kleptomanie. Hier sind es nicht die Unterschichten, die sich fremdes Eigentum aneignen, sondern Angehörige der Oberschicht, die durch das Stehlen mehr oder weniger bedeutsamer
Dinge die Gesellschaft irritieren. Die zeitgenössische Medizin sah in
erster Linie Frauen von der Kleptomanie bedroht. Während bislang eher geschlechtergeschichtliche Fragen im Vordergrund standen, wagt Paul Lerner eine neue Verknüpfung von Diebstahl mit Massenkonsum, Psychologie und Antisemitismus. Sein Hauptaugenmerk legt er auf die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.

Eine Zeit des Umbruchs und der Ungewissheit nimmt Stefan Mörchen in den Blick. Am Beispiel Bremens untersucht er die komplexen Vorgänge in der Zeit des Schwarzmarkt-Handels in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Obgleich sich die bürgerlichen Eigentumsvorstellungen in breiten Bevölkerungsschichten auflösten, wurde das Problem des Diebstahls weiterhin bestimmten sozialen Gruppen zugeschrieben und so aus der Mitte der Gesellschaft herausgedrängt. Mörchen beobachtet aber nicht nur die Kontinuität von stereotypen Zuschreibungen in der Bevölkerung, sondern weist diese auch in der kriminalistischen Theorie jener Jahre nach.

(....)
Silvan Niedermeier berichtet schließlich über die Ergebnisse der
Hamburger Tagung „Gewalt, Ordnung und Staatlichkeit“ (März 2006), die eine interdisziplinäre Annäherung an das sich wandelnde Verhältnis von Gewalt und Staatlichkeit anstrebte. Thematisiert wurden die Anwendung innerstaatlicher Gewalt und die unterschiedlichen Gewalthandlungen Krieg führender Akteure, aber auch aktuelle Fragen nach den Rechtfertigungen von Folter und Todesstrafe. Ein zentrales Interesse der Tagung war die stärkere Berücksichtigung des Rückwirkens von Gewalt auf die staatliche
Ordnung.

(...)
Die Redaktion


Editorial S. 3

Thementeil

Andrea Griesebner: S. 5
Verbannung statt Todesstrafe? Diebstahlsprozesse aus dem Erzherzogtum Österreich unter der Enns im 18. Jahrhundert

Rebekka Habermas: S. 25
Eigentum vor Gericht. Die Entstehung des modernen Rechtsstaates aus dem Diebstahl?

Paul Lerner: S. 45
Consuming Pathologies: Kleptomania, Magazinitis, and the Problem of Female Consumption in Wilhelmine and Weimar Germany

Stefan Mörchen: S. 57
„Echte Kriminelle“ und „zeitbedingte Rechtsbrecher“: Schwarzer Markt und Konstruktionen des Kriminellen in der Nachkriegszeit


Werkstatt
Sandra Maß: S. 77
„Eine Art sublimierter Tarzan“ – Deutsche Entwicklungshilfe als
Menschentechnik in den 1960er Jahren


Bericht
Silvan Niedermeier: S. 91
Gewalt, Ordnung und Staatlichkeit. Eine Tagung im Hamburger Warburghaus
(30.3.-1.4.2006)


Expokritik
Joachim Baur: S. 97
Ein Migrationsmuseum der anderen Art. Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven

Rezensionen S. 105
Annotationen S. 121
Abstracts S. 123
AutorInnen S. 126

------------------------------------------------------------------------
WerkstattGeschichte. Essen: Klartext Verlag. ISBN 3-89861-669-X; ISSN 0933-5706, 0942-704X

WerkstattGeschichte
c/o Klartext Verlag
Heßlerstraße 37
45329 Essen

Tel. 0201 ­ 86 206 13
Fax 0201 ­ 86 206 66

Homepage im Klartext-Verlag

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

powered by Antville powered by Helma

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.