"Schreiben, um vergessen zu werden" heisst es im Tagesspiegel (6.1. 2009) im angeblich letzten Interview mit Donald Westlake. Dabei erfahren wir ein bisschen etwas über US-Kulturgeschichte:
"Welche gesellschaftliche Funktion erfüllt ein Kriminalroman in den USA?
Westlake: Der amerikanische Krimi handelt vom Individuum und seinem Recht zu handeln – im Gegensatz zum englischen, in dem es immer darum geht, einen Bruch in der Gesellschaft zu kitten. Das Individuum löst in den USA nicht die Probleme der Gesellschaft, und die Gesellschaft wird nicht die Probleme des Individuums lösen. Ob man Polizist ist oder Gangster, Verbrechen aufklärt oder Verbrechen begeht – was zählt, ist der Einzelne.
Auch in Zeiten globaler Wirtschaftskrisen?
Westlake: Diese Fixiertheit auf das Individuum war in den USA nicht immer so. In den 30er Jahren, als die US-Gesellschaft viele Probleme hatte und auch politisch stärker an kollektiven Maßnahmen interessiert war, ging der Erfolg von Romanen über Privatdetektive spürbar zurück. Aber als Mitte der 40er Jahre die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten ihr Leben wieder allein auf sich gestellt meistern mussten, erlebte der Privatdetektivroman ein Comeback und alles, was mit dem Individuum zusammenhing."
Und dann erfahren wir auch noch, was gemeint ist, "wie ein Franzose zu schreiben":
"Ein Filmregisseur sagte einmal, Sie schrieben in Ihren Parker-Romanen wie ein Franzose. Was, glauben Sie, hat er damit gemeint?
Wenn ein amerikanischer Autor über einen Bankräuber schreibt, dann braucht der Dieb immer das erbeutete Geld, um einem kleinen Mädchen im Rollstuhl die lang ersehnte Operation bezahlen zu können. Ein französischer Autor schreibt über einen Bankräuber, weil er Banken ausraubt, Punkt. Deshalb habe ich es als Kompliment aufgefasst, dass ich wie ein Franzose schreibe.
Haben Sie die Verbrechen, die Sie in Ihren Romanen schildern, je beunruhigt?
Nein. Ich achte allerdings darauf, nie jemanden als Opfer zu wählen, der zuviel Sympathie auslöst. Wenn Parker eine Bank ausraubt, wird niemand wegen der Bank in Tränen ausbrechen."
Und dann die Sache mit der "Fortbildung":
"Lesen Kriminelle Krimis?
Ja. Richard Stark hat sehr viel Post aus dem Gefängnis bekommen. Die Insassen hatten eigenartigerweise das Gefühl, dass ich ihre Perspektive verstehe. Solche Briefe bekam ich eher auf die Bücher, die ich unter dem Namen Richard Stark denn als Donald Westlake veröffentlichte. Aus dem State Prison von Walhalla im Bundesstaat Washington schrieb mir mal einer, er habe soundso viele Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls aufgebrummt bekommen und sich eine ganze Reihe meiner Parker-Romane mit ins Gefängnis genommen, um sich mal gründlich fortzubilden."
"Welche gesellschaftliche Funktion erfüllt ein Kriminalroman in den USA?
Westlake: Der amerikanische Krimi handelt vom Individuum und seinem Recht zu handeln – im Gegensatz zum englischen, in dem es immer darum geht, einen Bruch in der Gesellschaft zu kitten. Das Individuum löst in den USA nicht die Probleme der Gesellschaft, und die Gesellschaft wird nicht die Probleme des Individuums lösen. Ob man Polizist ist oder Gangster, Verbrechen aufklärt oder Verbrechen begeht – was zählt, ist der Einzelne.
Auch in Zeiten globaler Wirtschaftskrisen?
Westlake: Diese Fixiertheit auf das Individuum war in den USA nicht immer so. In den 30er Jahren, als die US-Gesellschaft viele Probleme hatte und auch politisch stärker an kollektiven Maßnahmen interessiert war, ging der Erfolg von Romanen über Privatdetektive spürbar zurück. Aber als Mitte der 40er Jahre die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten ihr Leben wieder allein auf sich gestellt meistern mussten, erlebte der Privatdetektivroman ein Comeback und alles, was mit dem Individuum zusammenhing."
Und dann erfahren wir auch noch, was gemeint ist, "wie ein Franzose zu schreiben":
"Ein Filmregisseur sagte einmal, Sie schrieben in Ihren Parker-Romanen wie ein Franzose. Was, glauben Sie, hat er damit gemeint?
Wenn ein amerikanischer Autor über einen Bankräuber schreibt, dann braucht der Dieb immer das erbeutete Geld, um einem kleinen Mädchen im Rollstuhl die lang ersehnte Operation bezahlen zu können. Ein französischer Autor schreibt über einen Bankräuber, weil er Banken ausraubt, Punkt. Deshalb habe ich es als Kompliment aufgefasst, dass ich wie ein Franzose schreibe.
Haben Sie die Verbrechen, die Sie in Ihren Romanen schildern, je beunruhigt?
Nein. Ich achte allerdings darauf, nie jemanden als Opfer zu wählen, der zuviel Sympathie auslöst. Wenn Parker eine Bank ausraubt, wird niemand wegen der Bank in Tränen ausbrechen."
Und dann die Sache mit der "Fortbildung":
"Lesen Kriminelle Krimis?
Ja. Richard Stark hat sehr viel Post aus dem Gefängnis bekommen. Die Insassen hatten eigenartigerweise das Gefühl, dass ich ihre Perspektive verstehe. Solche Briefe bekam ich eher auf die Bücher, die ich unter dem Namen Richard Stark denn als Donald Westlake veröffentlichte. Aus dem State Prison von Walhalla im Bundesstaat Washington schrieb mir mal einer, er habe soundso viele Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls aufgebrummt bekommen und sich eine ganze Reihe meiner Parker-Romane mit ins Gefängnis genommen, um sich mal gründlich fortzubilden."
contributor - am Dienstag, 6. Januar 2009, 16:42 - Rubrik: Literatur und Bankraub
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"Wie man sich benimmt" lautet die Überschrift eines Artikels aus der Süddeutschen (5.1.2008) von Willi Winkler und erinnert dabei an die große alte Zeit der "Jewish Mobsters"
"Finanzgauner Bernie Madoff, der seine Umwelt um Milliarden betrogen hat, bietet einen Abglanz der heroischen Zeit, als noch nicht alle Juden gute Menschen sein mussten.
Die Geschichtsbücher, in denen zum Jahreswechsel wieder so eifrig geblättert wurde, sind schon recht überfüllt, und wahrscheinlich ist deshalb ein Ereignis nirgendwo festgehalten, das doch so bezeichnend ist für den Fortgang des amerikanischen 20. Jahrhunderts: In einer dunklen Nacht des Jahres 1927, die Wirtschaftskrise war noch weit, aber jedermann dankbar für eine kleine Ablenkung, überfiel eine schwerbewaffnete Gang einen Transport mit bestem irischen Whiskey. Es ging um viel Geld, und deshalb mussten elf Menschen ihr Leben lassen.
So brutal der Überfall war, in der anekdotenreichen Geschichte der Prohibition, die erst 1933 endete, wäre er nur einer unter vielen anderen geblieben, wenn nicht bei dieser Gelegenheit zwei mächtige Gegner aufeinandergetroffen wären, die um mehr als nur einen Geleitzug voller Alkohol kämpften. Der Whiskey, den die Schmuggler transportierten, sollte den nicht geringen Reichtum des irischstämmigen Bostoner Bankers Joseph Kennedy noch weiter mehren, und die Burschen, die sich der wertvollen Ladung bemächtigten, wurden von dem jüdischen Gangster Meyer Lansky angeführt, der wenige Jahre später die Spielerstadt Las Vegas etablieren sollte."
Und bei Willi Winkler ist so ein Thema doch sehr gut aufgehoben und erweitert die Perspektive mit seinem Blick auf die literarische Verarbeitung des Thema:
Feindselige Gesellschaft
Versteht sich, dass sich die beiden Gangs bald einigten und lieber den Markt unter sich aufteilten, als sich weiter zu bekriegen, denn beide waren Außenseiter in der strikt angelsächsisch geprägten amerikanischen Gesellschaft. Als sich die großen Gangster sämtlicher Syndikate zwei Jahre später zur Feier ihrer Fusion in einem Hotel in Atlantic City trafen, meldeten sie sich vorsichtshalber unter britisch klingenden Namen an; Juden und Katholiken waren im Atlantic City Break Hotel wie in den meisten anderen Hotels ebenso wenig erwünscht wie Schwarze.
Vollständige Mimikry war die einzige Möglichkeit, sich dieser feindseligen Gesellschaft aufzudrängen. Im "Großen Gatsby" (1925), F. Scott Fitzgeralds Studie über das jazz age, die Goldenen Jahre vor dem Zusammenbruch, erscheint im Mittelgrund ein Mann, der selbst den treuesten Lesern dieses Romans bis heute einige Schwierigkeiten bereitet. (In der deutschen Ausgabe wirkt der Übersetzer an den heiklen Stellen vorsichtshalber als Zensor.) Meyer Wolfsheim, der Mann, "der die 'World Series' von 1919 gedeichselt hat", ist auch der Mann, der den gutaussehenden Titelhelden "aus der Gosse" nach oben geholt hat.
Fitzgerald stattet ihn mit seltsamen Charakteristika aus: Wolfsheim pfeift einen Schlager jener Tage, der "The Rosary" (Der Rosenkranz) heißt, er trägt menschliche Backenzähne als Manschettenknöpfe, aus seiner Nase wuchern Haare büschelweise, und an seiner Bürotür entdeckt der Erzähler das Firmenschild einer "Swastika Holding Company". Dieser Meyer Wolfsheim ist, wie der Leser sofort merken soll, Jude. Die Swastika, das muss man in Deutschland nicht erklären, ist das Hakenkreuz, und in den antisemitischen zwanziger Jahren ist für einen jüdischen Gangster, der unbedingt ein Geschäftsmann sein will, eine bessere Tarnung kaum vorstellbar. Dieser Wolfsheim geht auf den 1882 geborenen Gangster Arnold Rothstein zurück. Er stammte aus einer ebenso frommen wie wohlhabenden New Yorker Familie; einer seiner Brüder war Rabbi.
Zu Arnold Rothstein
Arnold Rothstein aber hatte anderes im Sinn; statt sich über die Tora zu beugen, begründete er das organisierte Verbrechen in den USA. Auch wenn ihn Fitzgerald so zeichnet, hatte er nichts von einem Shylock, dafür sehr viel von einem Intellektuellen. Zwar widmete sich mit Hingabe dem Glücksspiel, doch setzte er dabei seinen messerscharfen mathematischen Verstand ein. Unermüdlich rechnete er Chancen und Risiken aus und verschob Wetten, wie er sie brauchte.
Der Moses der jüdischen Gangster
Die Prohibition, die 1920 aus den kalvinistischen USA einen gottesfürchtigen und wahrhaft nüchternen Staat machen sollte, verschaffte Rothstein die Eintrittskarte in die Gesellschaft, die Juden sonst gründlich verachtete. In der rasch aufblühenden Schattenwirtschaft eröffnete sich mit einem Mal die Möglichkeit, ein anerkannter Marktteilnehmer zu werden. Rich Cohen nennt Rothstein deshalb den Moses der jüdischen Gangster, den Mann, der den kleinen Ganoven New Yorks zeigte, wie man sich in der besseren Welt benimmt, wie man sich anzieht, wie man mit Stil auftritt und dabei vor allem viel Geld verdient.
Nebenbei war der gerissenste Gauner seiner Zeit als Wohltäter bekannt; mit seinem märchenhaften Reichtum finanzierte er den Bau mehrere Synagogen in New York, was ihn natürlich nicht hinderte, eine Katholikin zu heiraten. Arnold Rothstein starb 1928 auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ein Killer erschoss ihn, weil er sich geweigert hatte, eine Pokerschuld von 320.000 Dollar zu begleichen.
Nirgendwo besser als bei den Gangstern zeigt sich ein Phänomen, das in der amerikanischen Gesellschaft sonst nicht vorkommt, weil es nicht vorkommen darf: der Klassenkampf. Ohne die grundlegende Arbeit dieser Außenseiter ist die amerikanische Gesellschaft gar nicht vorstellbar. Sie jagen dem amerikanischen Traum, der ihnen verwehrt wurde, umso verbissener hinterher und schaffen dabei ein Paralleluniversum, das dem der etablierten Mächte wie eine Karikatur nachgebildet ist.
Lucky Luciano, Bugsy Siegel und vor allem Meyer Lansky waren die Meisterschüler des Gründervaters Rothstein. Las Vegas wurde das Symbol dieses Erfolgs. Bis in den Zweiten Weltkrieg existierte der Ort allenfalls als Rastplatz für Lastwagenfahrer, doch die liberalen Gesetze im Mormonenstaat Nevada erlaubten den im Osten reich gewordenen Gangstern, ihr Kapital in ein utopisches Projekt zu investieren: eine Stadt, in der Freizeit industriell herstellbar und wiederum zu verkaufen war. Hier gab es alles, was anderswo verboten war: Frauen, Alkohol, Drogen und Casinos.
Auch Hollywood strickte am Mythos mit:
Wir sind größer als U.S. Steel
Das Gangster-Syndikat, das sich bald über die gesamten Vereinigten Staaten ausbreitete, expandierte schließlich von Las Vegas weiter nach Havanna, wo es unfreiwillig den Boden für die kubanische Revolution in der Neujahrsnacht 1959 bereitete. Der Diktator Batista existierte zuletzt nurmehr als Marionette des Syndikats, das auf Kuba mit dem Segen der nordamerikanischen Wirtschaft seine besten off shore-Geschäfte betrieb. "Wir sind größer als U.S. Steel", sagt der Meyer Lansky liebevoll nachgebildete Hyman Roth (Lee Strasberg) in Francis Ford Coppolas zweitem "Paten"-Film.
Seit den dreißiger Jahren wuchs die Bewunderung für die Gangster vor allem unter der jüdischen Bevölkerung Amerikas ins Ungemessene. Während sie in Europa verfolgt, geschlagen, schließlich systematisch umgebracht wurden, setzten sich diese endlich zur Wehr. Sie waren nicht bereit, sich willig zur Schlachtbank führen zu lassen, sondern kämpften um ihren Platz in der Gesellschaft.
Meyer Lansky rühmte sich, dass er ein ganzes Schiff mit Waffen für die Freischärler ausgerüstet habe, die 1947/48 mit terroristischen Anschlägen gegen die britische Besatzung für ein unabhängiges Israel kämpften. Bis zuletzt blieb er glühender Zionist und konnte sich sogar eine Zeitlang in Israel vor den Nachstellungen der amerikanischen Finanzaufsicht verstecken.
Rich Cohen, der ein Buch über die jüdischen Gangster geschrieben hat, trauert der Zeit nach, als es den amerikanischen Juden noch nicht um die Anerkennung durch die herrschende angelsächsische Schicht ging. "Ich glaube, dass es der jüdischen Gemeinde besser ginge, wenn es erfolgreiche jüdische Gangster auch heute noch gäbe."
Wohl wahr, Kriminalität gehört zu jeder Gesellschaft und selbstverständlich gibt es dann auch jüdische Kriminelle. Aber ob Madoff nun die geeignete Figur ist, den Jewish Mobster wieder aufleben zu lassen? Da ging es doch noch etwas handfester zur Sache:
Für die jüdische Sache
Dabei liegt nichts näher, als sich Reputation, die einem sonst verweigert wird, durch Geld zu erkaufen. "Für mich und meine Generation, die mit ausschließlich guten Juden aufwuchs, mit Spendensammlern und Aktivisten, bieten die Gangster einen Blick in eine vergangene Zeit. Es ist wie eine Erinnerung an eine weniger gefestigte Epoche, wie eine Eiszeit, als die Erde noch über eine viel größere Artenvielfalt verfügte."
Bernie Madoff, der sich seit seinem Geständnis im Dezember als einer der größten Schwindler der Finanzgeschichte offenbart hat, wirkt wie ein solches Überbleibsel aus der Eiszeit, ein mammutähnliches Wesen, wie es die Taxonomie der modernen Wirtschaft sonst nicht mehr zulässt.
Wenn seinem Mitte Dezember abgelegten Geständnis zu trauen ist, war Madoff der größte, wenn auch nicht der gerissenste Finanzjongleur seit Arnold Rothstein. Wie Meyer Lansky gab er Geld für die jüdische Sache, zog damit aber auch jüdische Wohlfahrtsorganisationen an, die jetzt ihr Geld in einem schwindelerregenden Abgrund verloren haben. Als wollte er die amerikanische Klassengesellschaft parodieren, fand Madoff fand seine reputationssüchtigen Kunden im Country Club, diesem Inbegriff des angelsächsischen Aristokratentums.
Der Finanzgauner Madoff, der seine Umwelt um Millionen und Milliarden betrogen hat, bietet einen Abglanz der heroischen Zeit, als noch nicht alle Juden gute Menschen sein mussten. Niemand hat die Mimikry weiter getrieben, niemand hat es besser verstanden, sich in einer tendenziell judenfeindlichen Gesellschaft zu assimilieren als dieser Schwindler.
"Finanzgauner Bernie Madoff, der seine Umwelt um Milliarden betrogen hat, bietet einen Abglanz der heroischen Zeit, als noch nicht alle Juden gute Menschen sein mussten.
Die Geschichtsbücher, in denen zum Jahreswechsel wieder so eifrig geblättert wurde, sind schon recht überfüllt, und wahrscheinlich ist deshalb ein Ereignis nirgendwo festgehalten, das doch so bezeichnend ist für den Fortgang des amerikanischen 20. Jahrhunderts: In einer dunklen Nacht des Jahres 1927, die Wirtschaftskrise war noch weit, aber jedermann dankbar für eine kleine Ablenkung, überfiel eine schwerbewaffnete Gang einen Transport mit bestem irischen Whiskey. Es ging um viel Geld, und deshalb mussten elf Menschen ihr Leben lassen.
So brutal der Überfall war, in der anekdotenreichen Geschichte der Prohibition, die erst 1933 endete, wäre er nur einer unter vielen anderen geblieben, wenn nicht bei dieser Gelegenheit zwei mächtige Gegner aufeinandergetroffen wären, die um mehr als nur einen Geleitzug voller Alkohol kämpften. Der Whiskey, den die Schmuggler transportierten, sollte den nicht geringen Reichtum des irischstämmigen Bostoner Bankers Joseph Kennedy noch weiter mehren, und die Burschen, die sich der wertvollen Ladung bemächtigten, wurden von dem jüdischen Gangster Meyer Lansky angeführt, der wenige Jahre später die Spielerstadt Las Vegas etablieren sollte."
Und bei Willi Winkler ist so ein Thema doch sehr gut aufgehoben und erweitert die Perspektive mit seinem Blick auf die literarische Verarbeitung des Thema:
Feindselige Gesellschaft
Versteht sich, dass sich die beiden Gangs bald einigten und lieber den Markt unter sich aufteilten, als sich weiter zu bekriegen, denn beide waren Außenseiter in der strikt angelsächsisch geprägten amerikanischen Gesellschaft. Als sich die großen Gangster sämtlicher Syndikate zwei Jahre später zur Feier ihrer Fusion in einem Hotel in Atlantic City trafen, meldeten sie sich vorsichtshalber unter britisch klingenden Namen an; Juden und Katholiken waren im Atlantic City Break Hotel wie in den meisten anderen Hotels ebenso wenig erwünscht wie Schwarze.
Vollständige Mimikry war die einzige Möglichkeit, sich dieser feindseligen Gesellschaft aufzudrängen. Im "Großen Gatsby" (1925), F. Scott Fitzgeralds Studie über das jazz age, die Goldenen Jahre vor dem Zusammenbruch, erscheint im Mittelgrund ein Mann, der selbst den treuesten Lesern dieses Romans bis heute einige Schwierigkeiten bereitet. (In der deutschen Ausgabe wirkt der Übersetzer an den heiklen Stellen vorsichtshalber als Zensor.) Meyer Wolfsheim, der Mann, "der die 'World Series' von 1919 gedeichselt hat", ist auch der Mann, der den gutaussehenden Titelhelden "aus der Gosse" nach oben geholt hat.
Fitzgerald stattet ihn mit seltsamen Charakteristika aus: Wolfsheim pfeift einen Schlager jener Tage, der "The Rosary" (Der Rosenkranz) heißt, er trägt menschliche Backenzähne als Manschettenknöpfe, aus seiner Nase wuchern Haare büschelweise, und an seiner Bürotür entdeckt der Erzähler das Firmenschild einer "Swastika Holding Company". Dieser Meyer Wolfsheim ist, wie der Leser sofort merken soll, Jude. Die Swastika, das muss man in Deutschland nicht erklären, ist das Hakenkreuz, und in den antisemitischen zwanziger Jahren ist für einen jüdischen Gangster, der unbedingt ein Geschäftsmann sein will, eine bessere Tarnung kaum vorstellbar. Dieser Wolfsheim geht auf den 1882 geborenen Gangster Arnold Rothstein zurück. Er stammte aus einer ebenso frommen wie wohlhabenden New Yorker Familie; einer seiner Brüder war Rabbi.
Zu Arnold Rothstein
Arnold Rothstein aber hatte anderes im Sinn; statt sich über die Tora zu beugen, begründete er das organisierte Verbrechen in den USA. Auch wenn ihn Fitzgerald so zeichnet, hatte er nichts von einem Shylock, dafür sehr viel von einem Intellektuellen. Zwar widmete sich mit Hingabe dem Glücksspiel, doch setzte er dabei seinen messerscharfen mathematischen Verstand ein. Unermüdlich rechnete er Chancen und Risiken aus und verschob Wetten, wie er sie brauchte.
Der Moses der jüdischen Gangster
Die Prohibition, die 1920 aus den kalvinistischen USA einen gottesfürchtigen und wahrhaft nüchternen Staat machen sollte, verschaffte Rothstein die Eintrittskarte in die Gesellschaft, die Juden sonst gründlich verachtete. In der rasch aufblühenden Schattenwirtschaft eröffnete sich mit einem Mal die Möglichkeit, ein anerkannter Marktteilnehmer zu werden. Rich Cohen nennt Rothstein deshalb den Moses der jüdischen Gangster, den Mann, der den kleinen Ganoven New Yorks zeigte, wie man sich in der besseren Welt benimmt, wie man sich anzieht, wie man mit Stil auftritt und dabei vor allem viel Geld verdient.
Nebenbei war der gerissenste Gauner seiner Zeit als Wohltäter bekannt; mit seinem märchenhaften Reichtum finanzierte er den Bau mehrere Synagogen in New York, was ihn natürlich nicht hinderte, eine Katholikin zu heiraten. Arnold Rothstein starb 1928 auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ein Killer erschoss ihn, weil er sich geweigert hatte, eine Pokerschuld von 320.000 Dollar zu begleichen.
Nirgendwo besser als bei den Gangstern zeigt sich ein Phänomen, das in der amerikanischen Gesellschaft sonst nicht vorkommt, weil es nicht vorkommen darf: der Klassenkampf. Ohne die grundlegende Arbeit dieser Außenseiter ist die amerikanische Gesellschaft gar nicht vorstellbar. Sie jagen dem amerikanischen Traum, der ihnen verwehrt wurde, umso verbissener hinterher und schaffen dabei ein Paralleluniversum, das dem der etablierten Mächte wie eine Karikatur nachgebildet ist.
Lucky Luciano, Bugsy Siegel und vor allem Meyer Lansky waren die Meisterschüler des Gründervaters Rothstein. Las Vegas wurde das Symbol dieses Erfolgs. Bis in den Zweiten Weltkrieg existierte der Ort allenfalls als Rastplatz für Lastwagenfahrer, doch die liberalen Gesetze im Mormonenstaat Nevada erlaubten den im Osten reich gewordenen Gangstern, ihr Kapital in ein utopisches Projekt zu investieren: eine Stadt, in der Freizeit industriell herstellbar und wiederum zu verkaufen war. Hier gab es alles, was anderswo verboten war: Frauen, Alkohol, Drogen und Casinos.
Auch Hollywood strickte am Mythos mit:
Wir sind größer als U.S. Steel
Das Gangster-Syndikat, das sich bald über die gesamten Vereinigten Staaten ausbreitete, expandierte schließlich von Las Vegas weiter nach Havanna, wo es unfreiwillig den Boden für die kubanische Revolution in der Neujahrsnacht 1959 bereitete. Der Diktator Batista existierte zuletzt nurmehr als Marionette des Syndikats, das auf Kuba mit dem Segen der nordamerikanischen Wirtschaft seine besten off shore-Geschäfte betrieb. "Wir sind größer als U.S. Steel", sagt der Meyer Lansky liebevoll nachgebildete Hyman Roth (Lee Strasberg) in Francis Ford Coppolas zweitem "Paten"-Film.
Seit den dreißiger Jahren wuchs die Bewunderung für die Gangster vor allem unter der jüdischen Bevölkerung Amerikas ins Ungemessene. Während sie in Europa verfolgt, geschlagen, schließlich systematisch umgebracht wurden, setzten sich diese endlich zur Wehr. Sie waren nicht bereit, sich willig zur Schlachtbank führen zu lassen, sondern kämpften um ihren Platz in der Gesellschaft.
Meyer Lansky rühmte sich, dass er ein ganzes Schiff mit Waffen für die Freischärler ausgerüstet habe, die 1947/48 mit terroristischen Anschlägen gegen die britische Besatzung für ein unabhängiges Israel kämpften. Bis zuletzt blieb er glühender Zionist und konnte sich sogar eine Zeitlang in Israel vor den Nachstellungen der amerikanischen Finanzaufsicht verstecken.
Rich Cohen, der ein Buch über die jüdischen Gangster geschrieben hat, trauert der Zeit nach, als es den amerikanischen Juden noch nicht um die Anerkennung durch die herrschende angelsächsische Schicht ging. "Ich glaube, dass es der jüdischen Gemeinde besser ginge, wenn es erfolgreiche jüdische Gangster auch heute noch gäbe."
Wohl wahr, Kriminalität gehört zu jeder Gesellschaft und selbstverständlich gibt es dann auch jüdische Kriminelle. Aber ob Madoff nun die geeignete Figur ist, den Jewish Mobster wieder aufleben zu lassen? Da ging es doch noch etwas handfester zur Sache:
Für die jüdische Sache
Dabei liegt nichts näher, als sich Reputation, die einem sonst verweigert wird, durch Geld zu erkaufen. "Für mich und meine Generation, die mit ausschließlich guten Juden aufwuchs, mit Spendensammlern und Aktivisten, bieten die Gangster einen Blick in eine vergangene Zeit. Es ist wie eine Erinnerung an eine weniger gefestigte Epoche, wie eine Eiszeit, als die Erde noch über eine viel größere Artenvielfalt verfügte."
Bernie Madoff, der sich seit seinem Geständnis im Dezember als einer der größten Schwindler der Finanzgeschichte offenbart hat, wirkt wie ein solches Überbleibsel aus der Eiszeit, ein mammutähnliches Wesen, wie es die Taxonomie der modernen Wirtschaft sonst nicht mehr zulässt.
Wenn seinem Mitte Dezember abgelegten Geständnis zu trauen ist, war Madoff der größte, wenn auch nicht der gerissenste Finanzjongleur seit Arnold Rothstein. Wie Meyer Lansky gab er Geld für die jüdische Sache, zog damit aber auch jüdische Wohlfahrtsorganisationen an, die jetzt ihr Geld in einem schwindelerregenden Abgrund verloren haben. Als wollte er die amerikanische Klassengesellschaft parodieren, fand Madoff fand seine reputationssüchtigen Kunden im Country Club, diesem Inbegriff des angelsächsischen Aristokratentums.
Der Finanzgauner Madoff, der seine Umwelt um Millionen und Milliarden betrogen hat, bietet einen Abglanz der heroischen Zeit, als noch nicht alle Juden gute Menschen sein mussten. Niemand hat die Mimikry weiter getrieben, niemand hat es besser verstanden, sich in einer tendenziell judenfeindlichen Gesellschaft zu assimilieren als dieser Schwindler.
sparkassenkunde - am Dienstag, 6. Januar 2009, 00:33 - Rubrik: Jewish Studies
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