Die Stuttgarter Zeitung (2.5.2006) berichtet in einem Bericht "Abenteuerspielplatz Einkaufszentrum" über eine besondere Art des Theatertreffens im Stuttgarter Schauspielhaus, bei dem Regisseure aus ganz Deutschland sich mit einer Beschäftigung namens "Kaufen" auseinandersetzen:
"Punkt 16 Uhr wurde am Sonntag das Schauspielhaus am Eckensee feierlich als Stuttgarts neuester Konsumtempel eröffnet. Die Einweihungsparty hatte alles aufzubieten, was bei solchen Events dazugehört: Luftballons für die Kleinen, eine Fähre über den Eckensee als Sonderaktion, ein Blockflötenensemble von Schülern mit der Erkennungsmelodie, einen gut gelaunten Festredner und einen Knirps, der unter großem Beifall mit der Schere das Eröffnungsband durchschneiden durfte. Dann konnten die Konsumenten das Warenangebot in Augenschein nehmen, bei Easy-Listening-Musik durch die Gänge und Foyers flanieren und sich zu den verschiedenen Bühnen des Hauses führen lassen."
[Lesetip für Karl Marx: die Passagen über die ursprüngliche Akkumalation, MEW 23, S. 741ff.]
Einkaufen, neudeutsch shoppen, gehorche ähnlichen Regeln wie das Theaterspielen - so lautet die Prämisse, das hinter dem Projekt "Kaufen!" steckt, das im Schauspielhaus bis kommenden Samstag die Szene beherrscht. Die Rituale und Inszenierungen der Konsumgesellschaft, denen wir uns jeden Tag bewusstlos unterwerfen, sollen dabei sichtbar gemacht werden. Es gibt im Haus eine Fäustchen genannte eigene Währung; einen Schwarzmarkt für Restposten, die Sie immer schon mal elegant loswerden wollten; eine Lesung von Karl Marx" "Kapitel" als täglichen Fortsetzungsroman; eine Auktion, bei der man eine Aufführung in den eigenen vier Wänden ersteigern kann.
Fehlt nur noch das gute alte Floh-de-Cologne-Lied ("Du musst kaufen, kaufen, kaufen - kotzt dich das nicht an?" aus "Fließbandbabys Beat-Show").
Wenn die Bühne und die Realität nicht mehr so einfach zu unterscheiden sind, dann wird es höchste Zeit Maßnahmen zu ergreifen, die die Verhältnisse klären: Offenbar ebenfalls von Interesse ist hier der "Modus 2" des Einkaufens - das "Einklauen":
(...) Wer sich über die Zunahme der Ladendiebstähle Sorgen macht, ist in Sebastian Martins "Präventionskurs Ladendiebstahl" richtig. So wie einst der selige Eduard Zimmermann in "Aktenzeichen XY-Ungelöst" den Jagdinstinkt der braven Bürger beim Kampf gegen das Verbrechen wecken wollte, sollen hier die "wehrhaften Käufer" zur Selbsthilfe motiviert werden. Es gelte, die dekadente Mentalität des Wegschauens zu überwinden und sich aktiv in die Schar der freiwilligen Kaufhausdetektive einzureihen, fordert einen der Kursleiter mit missionarischem Eifer auf. Das Motto lautet: Jeder ist verdächtig, eine Unschuldsvermutung gibt es nicht. Dabei zeigt sich, dass Dieb und Detektiv nur zwei Seiten derselben Person sind und der Verteidiger des Gesetzes nichts anderes als ein umgepolter Krimineller ist. Wie sagte doch Brecht so schön: Was ist schon ein Bankraub verglichen mit der Gründung einer Bank.
Das ist jetzt aber eine Holterdipolter-Herleitung und ausserdem spricht Brecht von einem Einbruch und nicht von einem Raub. Brecht meint außerdem gerade nicht jeden Ladenbesitzer und auch nicht jeden Büttel. Aber so ist das Bildungsniveau im Feuilleton heute (und da wird immer wieder behauptet, wir brauchen die Redaktionen als Intermediatoren, wg. Qualitätskontrolle). Weil's irgendwie schon passen wird, oh tempora or mores .....
"Punkt 16 Uhr wurde am Sonntag das Schauspielhaus am Eckensee feierlich als Stuttgarts neuester Konsumtempel eröffnet. Die Einweihungsparty hatte alles aufzubieten, was bei solchen Events dazugehört: Luftballons für die Kleinen, eine Fähre über den Eckensee als Sonderaktion, ein Blockflötenensemble von Schülern mit der Erkennungsmelodie, einen gut gelaunten Festredner und einen Knirps, der unter großem Beifall mit der Schere das Eröffnungsband durchschneiden durfte. Dann konnten die Konsumenten das Warenangebot in Augenschein nehmen, bei Easy-Listening-Musik durch die Gänge und Foyers flanieren und sich zu den verschiedenen Bühnen des Hauses führen lassen."
[Lesetip für Karl Marx: die Passagen über die ursprüngliche Akkumalation, MEW 23, S. 741ff.]
Einkaufen, neudeutsch shoppen, gehorche ähnlichen Regeln wie das Theaterspielen - so lautet die Prämisse, das hinter dem Projekt "Kaufen!" steckt, das im Schauspielhaus bis kommenden Samstag die Szene beherrscht. Die Rituale und Inszenierungen der Konsumgesellschaft, denen wir uns jeden Tag bewusstlos unterwerfen, sollen dabei sichtbar gemacht werden. Es gibt im Haus eine Fäustchen genannte eigene Währung; einen Schwarzmarkt für Restposten, die Sie immer schon mal elegant loswerden wollten; eine Lesung von Karl Marx" "Kapitel" als täglichen Fortsetzungsroman; eine Auktion, bei der man eine Aufführung in den eigenen vier Wänden ersteigern kann.
Fehlt nur noch das gute alte Floh-de-Cologne-Lied ("Du musst kaufen, kaufen, kaufen - kotzt dich das nicht an?" aus "Fließbandbabys Beat-Show").
Wenn die Bühne und die Realität nicht mehr so einfach zu unterscheiden sind, dann wird es höchste Zeit Maßnahmen zu ergreifen, die die Verhältnisse klären: Offenbar ebenfalls von Interesse ist hier der "Modus 2" des Einkaufens - das "Einklauen":
(...) Wer sich über die Zunahme der Ladendiebstähle Sorgen macht, ist in Sebastian Martins "Präventionskurs Ladendiebstahl" richtig. So wie einst der selige Eduard Zimmermann in "Aktenzeichen XY-Ungelöst" den Jagdinstinkt der braven Bürger beim Kampf gegen das Verbrechen wecken wollte, sollen hier die "wehrhaften Käufer" zur Selbsthilfe motiviert werden. Es gelte, die dekadente Mentalität des Wegschauens zu überwinden und sich aktiv in die Schar der freiwilligen Kaufhausdetektive einzureihen, fordert einen der Kursleiter mit missionarischem Eifer auf. Das Motto lautet: Jeder ist verdächtig, eine Unschuldsvermutung gibt es nicht. Dabei zeigt sich, dass Dieb und Detektiv nur zwei Seiten derselben Person sind und der Verteidiger des Gesetzes nichts anderes als ein umgepolter Krimineller ist. Wie sagte doch Brecht so schön: Was ist schon ein Bankraub verglichen mit der Gründung einer Bank.
Das ist jetzt aber eine Holterdipolter-Herleitung und ausserdem spricht Brecht von einem Einbruch und nicht von einem Raub. Brecht meint außerdem gerade nicht jeden Ladenbesitzer und auch nicht jeden Büttel. Aber so ist das Bildungsniveau im Feuilleton heute (und da wird immer wieder behauptet, wir brauchen die Redaktionen als Intermediatoren, wg. Qualitätskontrolle). Weil's irgendwie schon passen wird, oh tempora or mores .....
contributor - am Mittwoch, 3. Mai 2006, 08:35 - Rubrik: Brecht-Zitat