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Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 
Sie hat ein bisschen Zeit benötigt, die gute, alte taz (10.8. 2005), aber jetzt ist sie auch dabei, und auch unsere taz-JournalistInnen wissen zu räubern, oder sagen wir besser, lassen sich inspirieren, nämlich von Vabanque, aber deshalb ist der Artikel auch besser als das, was wir bisher so zu lesen bekommen haben:


Gangster nach unserem Geschmack

Rund 50 Millionen Euro haben vorgestern unbekannte Täter bei einem Bankraub in Brasilien erbeutet. Monatelang haben sie von einem zum Schein eröffneten Blumenladen aus einen 80 Meter langen Tunnel in den Tresorraum der Zentralbank in Fortaleza gegraben. Hut ab! Zehn Fragen von vier Fans, die gelernt haben, dass Verbrechen sich nicht lohnt, aber anderen gerne dabei zugucken

1. Warum beschäftigt uns der Bankraub?

Wir wollen auch 50 Millionen Euro. Was man damit alles machen könnte. Nie wieder arbeiten, nie wieder einen Job suchen, nie wieder für die Rente vorsorgen, nie wieder für die Studiengebühren der Kinder sparen. Nie wieder sparen überhaupt. Wenn wir erst mal 50 Milliarden, äh, Millionen Euro haben, dann können wir endlich alles machen, was wir immer schon wollten. Alles. Immer. Überall. Luxus, Autos, Schmuck, Frauen, Männer. Oder oder oder. Kinder aus Afrika ("Live 8") adoptieren, unseretwegen auch. Wir hätten keine Existenzangst mehr. Nie wieder Geldsorgen. Nie nie nie mehr. Angie oder Gerd, Edmund oder Oskar? Nicht egal, aber nicht entscheidend. Wir wären endlich frei. Denn Geld ist gut.

2. Welche Bankräuber schätzen wir?

Sie sollen schlau sein. Männer (und, okay, Frauen), denen niemand so schnell etwas vormacht. Ein Bankräuber nach unserem Gusto setzt sich hin und macht einen Plan. Einen richtig komplizierten Plan. Er hat genau die richtigen Freunde, die seinen Plan umsetzen können. Der weiß, wann man einen Ingenieur einsetzt und wann einen Akrobaten. Und er weiß auch, wann er mit anpacken muss, und kann mit den Stärksten mithalten. Der Bankräuber behält den Überblick, koordiniert, sieht alles voraus. Und er wirkt dabei lässig - so wie James Bond, mindestens. Natürlich ist er auch gewitzt. Sonst könnte er ja gar nicht quer genug denken, um die Lücken in einem Sicherheitssystem zu sehen. Ein richtiger Bankräuber ist ein überlegener Nonkonformist.

3. Was wollen wir von den Bankräubern sehen?

Action! Wir wollen Tunnel, riskante Planungen, gewagtes Timing, vollen körperlichen und geistigen Einsatz, Menschlichkeit, Nerven aus Stahl, denen auch kleine Missgeschicke nichts anhaben können - aber bitte nicht zu viel Schweiß, denn Helden schwitzen nicht. Verzweiflung ist ein schlechtes Parfum. Kurzum: Wir wollen, dass sie unsere eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen; dass sie in Situationen, in denen wir den Überblick verlieren oder uns vor Angst in die Hose machen würden, einen kühlen Kopf bewahren. Wir wollen Helden! Es reicht ja völlig, dass wir beim Anblick eines Streifenwagens ein schlechtes Gewissen bekommen, und zwar grundlos.

4. Welche Bankräuber wollen wir nicht sehen?

Was wir nie verstanden haben: Warum wurde Ronald Biggs ein Held? Der hatte keinen schlauen Überfall mitgeplant. Es starb ein Mensch bei seinem Überfall auf einen Postzug. Außerdem war er auch nicht interessant oder witzig oder sah auch nur ein bisschen gut aus. Er war ein grober Brutalo. Bis hin zu den überkandidelten Hawaii-Hemden und dem schlechten Lied mit den Toten Hosen. Wir verachten Nick Leeson, unscheinbarer Technokrat, der eine ganze Bank zum Einsturz brachte, aber damit sämtliche Kunden in den Ruin trieb und die Angestellten arbeitslos machte. Und wir mögen "Phisher" nicht, die Bankkunden die PIN-Nummern klauen und deren Konten plündern. Das ist kein Banküberfall, sondern elektronischer Handtaschenraub.

5. Warum erlauben wir den Bankräubern das, warum fiebern wir mit ihnen mit?

Banken sind ein riesiges System. Und wenn dann ein Mastermind mit einer Schaufel, einem GPS-Gerät, seinen Freunden und seinem Grips diese Riesen zu Fall bringen können, dann fühlen wir uns gut. Wir sympathisieren gern. Wir bekommen vielleicht keinen Kredit und sie können unser Haus pfänden, aber da draußen gibt es noch Menschen, die diese Riesenwaben aus Technik und Bürokratie treffen können. Weil sie besser sind und schneller und schlauer. So wie wir es auch gerne wären.

6. Was dürfen Bankräuber stehlen? Was nicht?

Bankräuber dürfen nur das stehlen, was im Überfluss vorhanden ist und einzelnen Personen oder Organisationen gehört. Allgemeingüter, beispielsweise Museumsstücke, sind tabu. Wer den "Schrei" von Edvard Munch klaut, der enttäuscht nicht nur das Museum, sondern auch all jene, die in Oslo das Werk sehen möchten. Auch Gegenstände, die einen persönlichen Wert besitzen, sollen Bankräuber stets liegen lassen. Das letzte Geschenk des verstorbenen Ehemanns, Dinge, die vom ersten selbst verdienten Geld gekauft wurden, die Uhr des Vaters. Geschmeide und Geld aber, das nur im Tresor rumliegt, das kann mit. Dabei darf der Bankräuber Menschen weniger reich, aber nie arm und mittellos machen.

7. Wo wollen wir die Bankräuber treffen?

Am Meer. Das gehört zur materiellen Erfüllung eines Traums einfach dazu. Ihr Domizil ist gar kein Vergleich mit dem so genannten Traumhaus in der Bausparerwerbung. Weniger spießig, prolliger - aber auch dekadenter. Das Haus muss an einem Hang stehen, gern in der Nähe von Acapulco. Dort laden sie uns auf eine Cohiba und einen Whiskey ein. Wir saufen mit ihnen wie Hemingway. Oder die Villa steht an einem lange, weißen Sandstrand in Kenia. An der Côte d'Azur. in Rio. In Goa. Highlife. High Five. High Society. High Energy. Als Gastgeschenk bringen wir Spezialitäten aus der Heimat. Schwarzbrot, Schinken, Gummibärchen, Roederer Cristal. Heimwehnahrung für alle Fälle.

8. Wo treffen wir sie wirklich?

Gerade hat der TV-Sender ABC enthüllt: Der Führer der Tschetschenen wohnt in einem Zelt irgendwo unter einem Busch. Ussama Bin Laden hat wirklich viele Freunde, aber dennoch hat er kein Anwesen auf einer Insel, sondern eine Höhle aufm Berg. Und Saddam Hussein wurde von den Amis aus einem Erdloch gezogen. Klar taugt keiner dieser Männer zum Vorbild, doch machen diese Wohnorte eines deutlich: Wer sich heute mit der internationalen Staatengemeinschaft anlegt und sich nicht wie ein kolumbianischer Drogenbaron eine Privatarmee leisten kann, hat schlechte Karten. Wahrscheinlich müsste unser Bankräuber nach Myanmar ("Birma"), Nordkorea, Somalia oder auf eine abgelegene Insel fliehen, um sicher vor dem Arm des Gesetzes zu sein. Keine schöne Aussicht - trotz Meerblick. Selbst mit 50 Millionen Euro. Und wo zum Teufel soll man die dort ausgeben?

9. Welche Filme sehen wir uns zum Trost an?

"Topkapi" (1964)
"Rififi" (1955)
"Sass" (2001)
"Die Gentlemen bitten zur Kasse" (1969)
"Die Abenteuer des Robin Hood" (1938)
"Ocean's Eleven" (1960 bzw. 2001)
"Ocean's Twelve" (2004)
"Jetzt oder nie - Zeit ist Geld" (2000)
"Heist - der letzte Coup" (2001)
"Sneakers - die Lautlosen" (1991)
"The Italian Job" (2003)

10. Warum spielen wir immer nur Lotto?

Wir haben Angst vor dem Ausbruch aus dem System, der - das Leben ist ja kein Film, ach - doch zumeist im Gefängnis endet. Und was wird dann aus den Kindern? Dem Job? Der Skatrunde? Hinter diesen Überlegungen verbirgt sich das verhangene Gefühl, dass es uns so schlecht doch eigentlich auch wieder nicht geht. Auch weil sich bei den wenigsten von uns die Pläne für den perfekten Coup in der Schublade stapeln, riskieren wir unsere bürgerliche Existenz doch nicht für ein riskantes Verbrechen, ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Das überlassen wir dann doch lieber den Filmhelden und machen uns selber die Hände nicht schmutzig - außer vielleicht an der Tinte des Kulis, mit dem wir Lottoscheine ausfüllen.

Die Männern (und Frauen?) im brasilianischen Fortaleza sind auf der Flucht. Wir wollen wenigstens die Filmrechte. Das Geld werden wir uns besorgen.

DAVID DENK, SOLVEIG WRIGHT,
NATALIE TENBERG, PHILIPP LÖHLE


taz Nr. 7738 vom 10.8.2005, Seite 13, 255 Zeilen (TAZ-Bericht), DAVID DENK / SOLVEIG WRIGHT / NATALIE TENBERG / PHILIPP LÖHLE
 

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