AusstellungenMuseum
BankerInnen und PolizistInnen
Bankraub in Film und Fernsehen
Bankraub-Dokus - Themenabende usw.
Bankraub-Schriftsteller
Bankraub-Trends
Bibliographie der Volkskunde des Bankraubs
Biographien des Bankraubs
Blog-Review
Brecht-Zitat
Brutalisierung des Bankraubs
Buergerliches Recht
Edle Raeuber - Robin Hoods
Fluchttechniken
Geiz ist geil
GenderMainStreaming
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon
Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 
neuere Beiträge
Die Netzzeitung (23.1.2006) veröffentlichte eine ausführliche und euphorische Würdigung der Attila-Ambrus-Biographie von Julian Rubinstein, die hier auch schon an zweimal Thema war. Maik Söhler meint, dass auch wenn jemand schon Ekkehard Schwerks Bändchen über die Gebrüder Sass ("Die Meisterdiebe von Berlin) oder Vabanque (herausgegeben von Klaus Schönberger) gelesen habe, die Lektüre nicht nicht langweilig, sondern auch insgesamt "gelungen" sei, weil Rubinstein "nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt":

"Betrunken zur Arbeit"
Eine neue Biografie erzählt die Geschichte von Attila Ambrus. Der ungarische Bankräuber begegnete dem osteuropäischen Turbokapitalismus der Neunziger mit Verbrechen, für die er als moderner Robin Hood gefeiert wurde.

Von Maik Söhler

Wenn man noch nie eine Bankräuberbiografie gelesen hat, dann ist Julian Rubinsteins «Ballade vom Whiskeyräuber» eine wunderbare Einführung ins Thema. Hier erfährt man alles über das Leben und Wirken eines professionellen Verbrechers. Attila Ambrus war in Ungarn eine Zeit lang so berühmt wie Béla Bartók oder Imre Kertész.

Das Magazin «Magyar Hirlap» bezeichnete ihn einmal als «ausdauerndsten, umsichtigsten und meistgesuchten Bankräuber des Jahrhunderts» und übertrieb dabei nur wenig. 29 Bank-, Post- und Reisebüroüberfälle mit einer Gesamtbeute von 775.000 Euro können sich – egal wie man zur Aneignung fremden Geldes steht – sehen lassen.

Von Siebenbürgen nach Budapest


Aber auch wenn man schon mal ein Buch über Bankraub in der Hand hatte, etwa Ekkehard Schwerks «Die Meisterdiebe von Berlin» oder Klaus Schönbergers «Vabanque», langweilt diese im Dezember erschienene Veröffentlichung nicht. Denn Rubinstein weiß Ambrus’ Lebensgeschichte gut in die Zerfalls- und Neuformierungsprozesse eines kleinen Landes einzubetten, das den Staatssozialismus gerade abgeschüttelt hat und es nun mit den Problemen zu tun bekommt, die ein ungehemmter Kapitalismus erzeugt.

Die Person und das System – es geht also um beides in Rubinsteins Biografie, und der Autor macht schnell und überzeugend deutlich, dass diese beiden Aspekte hier nicht voneinander zu trennen sind. Und das liegt an der Zeit, in der die Geschichte spielt.

Als Attila Ambrus am 12. Oktober 1988 nach einer nicht ungefährlichen Flucht aus dem rumänischen Siebenbürgen zum ersten Mal den Boden Budapests betritt, regiert in Ungarn noch die Kommunistische Partei. Noch, denn sie wird schneller abtreten als Ambrus in der Hauptstadt Fuß fassen und ungarischer Staatsbürger werden kann.

Gnadenloser Goldrausch

In Ceaucescus Rumänien wurde er als Angehöriger der ungarischen Minderheit und wegen einiger Bagatelldelikte vom Geheimdienst Securitate beobachtet und musste sich als Hilfselektriker und Kirchenanstreicher durchschlagen. Das brachte nicht viel Geld, führte aber wenigstens gelegentlich zu einem Einkommen.

In Ungarn ist Ambrus’ ökonomische Situation von Beginn an noch prekärer. Er wird Platzwart beim nationalen Eishockeymeister UTE, wofür es aber kein Geld gibt. Als Entlohnung wird die freie Unterkunft in einem Kämmerchen des Vereinsgebäudes festgelegt. Mittlerweile ist der Sozialismus zusammengebrochen und das Land wird, wie Rubinstein schreibt, das «beliebteste Einfallstor für den größten und rücksichtslosesten Goldrausch der letzten Jahre.»

Sich selbst der Nächste


Wo riesige Fabriken verfallen, entstehen Spielcasinos und wo Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihre Existenzgrundlage verlieren, werden einige wenige durch den Ankauf ehemals staatlicher Betriebe plötzlich steinreich. Auch die Lücke, die Budapests KP-Nomenklatura in der städtischen Geldelite hinterlässt, wird schnell von der russischen Mafia geschlossen. Das führt zur höchsten Unzufriedensheitsrate aller osteuropäischen Staaten, die Ungarn haben die «freie Räuberei» rasch satt.

Das ist die Stunde des völlig abgebrannten UTE-Platzwartes, oder, in Rubinsteins Worten: «Jeder war sich selbst der nächste. Und mit diesem Motto hatte sich Attila Ambrus seit jeher identifiziert.» Nach einer kurzen Karriere als Pelzschmuggler zwischen Rumänien und Österreich merkt Ambrus, dass es in Budapest noch einfacher ist, an Geld zu kommen. Es liegt ja auf der Bank, beziehungsweise der Post, die viele Ungarn traditionell dem Bankwesen vorziehen. Und auch in Reisebüros ist was zu holen, da die Kundschaft dort häufig in bar bezahlt.

Whiskey vor der Tat

Und so beginnt Ambrus seine Serie von Überfällen. Am 22. Januar 1993 nimmt er sich seine erste Postfiliale vor und entkommt mit 548.000 Forint, etwa 5000 Euro. Es sind gleich mehrere Charakteristika, die der Budapester Polizei zeigen, dass sie es mit einem Neuen zu tun haben.

Der Bankräuber behandelt das überfallene Personal sehr höflich, verzichtet auf Gewalt – und ist betrunken. Anders gesagt: Attila Ambrus kann den Raub zwar nahezu perfekt und nüchtern planen, doch wenn der Einsatz ansteht, flattern seine Nerven so sehr, dass er vorher zur Whiskeyflasche greift oder sich in einer dem Überfallort nahe gelegenen Bar einige Whiskeys gönnt.

Deswegen nennt ihn die Presse den «Whiskeyräuber». Es folgen 28 weitere Raubzüge, mal allein, mal mit wechselnden Komplizen, meistens erfolgreich, fast immer gewaltfrei und immer angeheitert. Mehr als sechs Jahre lang ermittelt die Polizei, und in dieser Zeit wächst sein Ruhm und seine Beliebtheit.

88 Tore in fünf Wochen

T-Shirts mit dem Aufdruck «I love the Whiskey-Robber» werden gedruckt, halb Budapest sympathisiert mit ihm. Selbst Teile der Medien entdecken einen modernen Robin Hood, einen «Jungen von nebenan, der in einem ungerechten System über die Runden zu kommen versucht», wie es Rubinstein zusammenfasst.

Ganz nebenbei steigt Ambrus im Eishockeyverein auf: vom Platzwart zum Ersatztorhüter und schließlich zum Keeper des Profiteams. Dazu konnte es nur kommen, weil die UTE-Mannschaft ihre guten Zeiten bereits hinter sich hat. Ambrus’ Einsatz macht es nicht besser: «Attilas 1995/96-Saison als Stammtorwart des UTE war die vermutlich schlechteste Performance eines Torhüters in der Geschichte des Eishockeys überhaupt.» Er kassiert 88 Gegentore in fünf Wochen.

Haft bis 2016

Gute drei Jahre später wird Ambrus schließlich gefasst. Die Sicherheitsvorkehrungen der Banken sind besser geworden, und nach einem nur teilweise gelungenen Überfall versucht er über die ungarisch-rumänische Grenze zu entkommen. Dort aber wartet schon die Polizei auf ihn. Er wird angeklagt und wartet im Budapester Gefängnis Gyorskocsi Utca auf den Prozess.

Um nicht zu sagen: der Prozess wartet auf ihn und wird auch noch ein wenig warten müssen. Denn Ambrus bricht im Juli 1999 kurzerhand aus und löst damit, wie sein Biograf schreibt, «den Beginn der größten Verbrecherjagd in der Geschichte des postkommunistischen Europa» aus.

Noch drei Bankfilialen müssen dran glauben, bevor er am 27. Oktober erneut erwischt wird. Diesmal gibt es kein Entkommen, das Gerichtsurteil lautet «15 Jahre Haft», der Delinquent soll auf Anweisung der Richterin nicht in eine normale Haftanstalt kommen. Im Hochsicherheitsgefängnis von Sátoraljaújhely sitzt Attila Ambrus bis heute ein. Im Jahr 2016 soll er voraussichtlich entlassen werden, er wäre dann 49 Jahre alt.

Schaukasten Budapest

Julian Rubinstein hat ein hübsches Buch über Ambrus geschrieben. Man kann es trotz einiger Schwächen – die Distanz zwischen dem Biografen und dem Bankräuber ist oft zu gering, stellenweise sind die Charakterisierungen der handelnden Personen recht simpel, Teile der Handlung werden unnötigerweise ständig wiederholt – als ein gelungenes Schurkenstück bezeichnen. Johnny Depp hat sich die Filmrechte bereits gesichert.

Dass Rubinsteins Buch letztlich gelungen ist, liegt daran, dass er nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt.

«Budapest war ein Schaukasten für Scheiße geworden», schreibt er über die turbokapitalistische Besitznahme einer Stadt Mitte der neunziger Jahre, das «einen Kriminellen zum ersten international bekannten Symbol der eigenen modernen Kultur» machte.

Julian Rubinstein: Die Ballade vom Whiskeyräuber. Rogner & Bernhard 2005, 480 S, 21 Euro


Nochmals zum Fluchtauto in der am 15. Februar ihre Pforten öffendende Frankfurter Ausstellung "Geld oder Leben": Das Schweizer Boulevard-Blatt 20 Minuten" (Basler Ausgabe) klärte uns am 18.1. 2006 auf Seite zwei auf, wo das beim "Jahrhundert-Postraub" von 1997 verwendete Auto inzwischen gelandet ist:

"Was niemand wusste: Der Lieferwagen wurde nach der fiatfiorinoSpurensicherung nicht verschrottet, sondern ging im Jahr 2000 von der Versicherung ans Museum für Kommunikation in Bern. «Für einen symbolischen Preis von wenigen Franken», so der stellvertretende Museumsdirektor Karl Kronig. Seither war der Wagen im Museumsdepot parkiert.

Nun wurde er an das Museum für Kommunikation in Frankfurt ausgeliehen. «Spektakulärer Hintergrund an diesem Ausstellungsstück ist, dass von der 70-Millionen-Beute nur 53 Millionen Franken im kleinen Wagen Platz hatten», so Museumssprecherin Regine Meldt. Die Ausstellung dauert vom 15. Februar bis zum 17. September."


Zum Berner Museum für Kommunikation

gibt es nicht nur auf Wikipedia, sondern derselbe wird in potenzierter Form dann auch noch auf der Kinderwebseite Kidlane erzählt:
Am 8. August 1963 erbeuteten 15 Gangster unter der Leitung von Ronald Biggs bei einem Überfall auf den Postzug Glasgow-London rund 30 Millionen Mark. (...) Dem Anführer Ronald Biggs gelang die Flucht aus dem Gefängnis nach Brasilien.

Der ursprüngliche Besitzer des für die Beute beim Zürcher Fraumünster-Post anno 1997 zu kleinen Fluchtfahrzeugs ist Redakteur von az-online. Und az-online berichtet über ihren Redakteurs, als der entdeckt, dass das ausgebrannte Auto in der Frankfurter Postraub-Ausstellung zu sehen sein wird (18.1. 2006).

Er wusste nicht dass es noch existierte; und nun steht sein Auto in der Ausstellung «Geld oder Leben» in Frankfurt. Roger Doëlly staunte nicht schlecht, als er seinen Fiat Fiorino, der 1997 beim Überfall auf die Zürcher Hauptpost verwendet worden war, auf einem Bild von Keystone entdeckte.

Es war der Zürcher «Jahrhundertraub». Am 3. September 1997 entwendeten Räuber den weissen Fiorino von Doëlly, heute Redaktor bei azonline.ch, in Zürich-Schwamendingen, fuhren stinkfrech in die Hauptpost und zügelten 70 Millionen Franken ab. Pech nur, dass der Fiat zu klein war für die Geldkisten. Die Gangster mussten 20 Millionen Franken in bar zurücklassen.

Der Fiat wurde kurz nach dem Überfall total ausgebrannt aufgefunden und von der Polizei sichergestellt. Sein Besitzer erhielt von der Versicherung eine gute Entschädigung. Dadurch ging der Wagen ins Eigentum der Versicherung über. «Ich dachte, das Auto sei schon längst entsorgt worden», sagt Doëlly.

Doch weit gefehlt. Das Fahrzeug steht seit Montag im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main als Installation im Rahmen von «Geld oder Leben». Doëlly entdeckte sein ehemaliges Auto am Dienstag auf einem von der Agentur Keystone übermittelten Bild.

Die Ausstellung zeigt Diebstähle, die Geschichte machten, von den Zeiten der Überfälle auf Postkutschen im Wilden Westen bis zum im Internetzeitalter weit verbreiteten Datenklau.

Doëlly wird sich die Ausstellung natürlich ansehen. «Ich frage bei meiner Versicherung an. Vielleicht bezahlt sie mir das Eintrittsticket.»

Nachzutragen wäre noch:

Bundesamt für Migration in Lausanne abgeblitzt
Ein italienischer Beteiligter am legendären Fraumünster-Postraub im Jahr 1997 darf in der Schweiz bleiben. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde aus dem Departement von Bundesrat Blocher abgewiesen.
(sda) Das Zürcher Obergericht hatte den Italiener im Juni 2000 für seine Beteiligung am Fraumünster-Postraub zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Im August 2002 wurde er aus dem Strafvollzug entlassen. Gut ein Jahr später heiratete er eine Schweizerin, 2004 bekam das Paar ein Kind.

Den ganzen Artikel bei NZZ Online (22.12. 2005)

Fiat

Das Bild zeigt, wie die Mitarbeiter des Frankfurter Museum für Kommunikation am Montag, 16. Januar 2006, die Anlieferung des Fluchtfahrzeug des Züricher Postraubs von 1997 fuer die Ausstellung "Geld oder Leben" verfolgen. Dieser Fiat Fiorino diente als Fluchtfahrzeug beim "Zürcher Jahrhunderpostraub" und nimmt einen zentralen Platz in der Ausstellung ein. Man kann gespannt sein, ob auch der Mazda E 2000 eine Rolle spielt, der in diesem Zusammenhang auch Furore machte, als der Autoherstellung mit folgendem Satz Werbung machte: "Liebe Posträuber, im Mazda E 2000 hätten sogar 70 Millionen Franken Platz gehabt", was darauf anspielte, dass sie wegen des geringen Fassungsvermögens des FIATs fast 20 Millionen Franken am Tatort zurücklassen mussten.

Die Ausstellung wird am 15. Februar 2006 eröffnet.

In Wikipedia gibt es nun einen Beitrag zum Thema Postraub. Leider nur über den englischen von 1963. Da hat es inzwischen schon noch einiges mehr gegeben, z.B. in Zürich.
Die kritischste deutschsprachige Darstellung zum Thema hat im übrigen der Freiburger Historiker Dirk Schindelbeck verfasst: "Ronnie Biggs Superstar - vom Wert der Öffentlichkeitsarbeit beim Postraub". In: Schönberger, Klaus (Hg.): Vabanque. Bankraub.Theorie.Praxis. Hamburg u.a. 2000, S. 64-77.
Der Wikipedia-Artikel wiederholt den Fehler, dass immer noch die Rolle von Biggs überbewertet wird: "Im Kapitel "Ronnie Biggs Superstar - vom Wert der Öffentlichkeitsarbeit beim Postraub" wird allerdings der Mythos des erklärten Idols zahlreicher Möchtegern-Millionäre mit einem Schlag zunichte gemacht." (Ivo Kaufmann, ORF-Kultur-online) Schindelbeck hat im übrigen gezeigt, in welcher Weise die Wahrnehmung im deutschprachigen Raum von dem 60er Straßenfeger "Die Gentlemen bitten zur Kasse" geprägt war, zudem es ebenfalls einen Eintrag auf Wikipedia gibt (wenigsten hier kommt der Name Biggs nicht vor).
Bruce Reynolds hat gleichermaßen einen Eintrag bekommen, von dem aber unklar ist, auf welchen Quellen er basiert.

Der Zürcher Tages-Anzeiger vom 12.01.2006 aus einer Hochburg des Bankwesens, bricht eine Lanze gegen den Robin-Hoodianismus der öffentlichen Meinung in Sachen Bankraub. Soweit so gut. Bloss Eric Hobsbawm, werter Martin Vetterli, kann man so billig nicht beikommen:

"Alle 90 Minuten ein Banküberfall

In Europa werden Jahr für Jahr 6000 Banken überfallen. Und die Räuber gehen immer brutaler vor – auch in der Schweiz.

Wenn Bankräuber zuschlagen, sind ihnen immer wieder bewundernde Kommentare sicher - sofern niemandem ein Haar gekrümmt wird. Das war 1997 beim Millionencoup auf die Fraumünsterpost so. Und erst recht war es letzten August der Fall, als in der brasilianischen Stadt Fortaleza 3,5 Tonnen Geld durch einen 80 Meter langen Tunnel den Weg in die Freiheit - sprich: einen Blumenladen - fanden. Der Coup war in monatelanger Präzisionsarbeit vorbereitet und in filmreifer Art durchgezogen worden.

Die Verehrung von Banditen hat Tradition. Gemäss dem britischen Historiker Eric Hobsbawn handelt es sich um eine Urform des Sozialprotests, um eine Spielart der Auflehnung gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Quasi ein in Erzählungen gelebter Robin-Hoodianismus. Die Realität hat damit wenig zu tun. "


Das Problem besteht doch darin, dass es nicht unbedingt im Belieben des Historikers steht, ob es sich so verhält oder nicht. Und noch ein Trugschluss: Bloss weil etwas Sozialprotest ist, muss es noch lange nicht gut sein. Aber lassen wir das ...

Der Artikel beschäftigt sich dann mit dem bereits erwähnten Bericht der Europäischen Bankföderation (deren Webseite übrigens nicht wirklich einfach zu finden ist) und der dort angeblich ausgemachten Brutalisierung des Bankraubs:

"5864 Überfälle in einem Jahr
Europäische Bankräuber üben ihr Handwerk mit zunehmender Brutalität aus. Die Hemmschwelle, Schusswaffen oder gar Sprengstoff anzuwenden, sinkt. Die Zahl der Geiselnahmen steigt. Zu diesem erschreckenden Schluss kommt der Europäische Bankenverband, der neben den 25 EU-Staaten auch Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz untersucht hat.

Bankraub ist kein exotisches Phänomen. In Europa kommt es alle 90 Minuten zu einem Überfall. 2004 waren es 5864 Fälle, 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anstieg geht zwar vor allem auf das Konto der neuen EU-Staaten; in Westeuropa ist die Zahl leicht rückläufig, so der Bericht. Die Geldinstitute verloren durch Überfälle insgesamt 149,1 Millionen Franken. Im Jahr zuvor waren es 19 Prozent mehr.

Dass die Deliktsumme rückläufig ist, erklärt sich vor allem mit dem Wandel im Bankwesen. In den Banken sei schlicht weniger Bargeld zu holen, weil die Kunden für den Zahlungsverkehr zunehmend das Onlinebanking benützen, mit Plastikgeld ihre Einkäufe bezahlen und Bargeld nicht mehr am Schalter, sondern am Bancomaten beziehen."


Inwiefern diese Tendenz - wenn es sie denn gibt - vielleicht auch etwas mit den gestiegenen Sicherheitsmaßnahmen zu tun haben könnte, war aber noch nie Gegenstand kritischer Selbstreflexion von Banken.

Und im Hinblick auf die Schweiz heisst es:

" Die Schweiz ist in Sachen Banküberfall kein Sonderfall, auch wenn sie deutlich schwächer davon betroffen ist als der EU-Durchschnitt. In den letzten drei Jahren berichteten Zeitungen von jeweils knapp einem Dutzend Fällen. Das Bundesamt für Polizei hat keine Zahlen zur Verfügung, weil sie bisher nicht gesammelt wurden, wie Sprecher Guido Balmer sagt. Gemäss Kriminalstatistik hat die Zahl der Raubüberfälle 2004 um 9,2 Prozent zugenommen. Die Gewaltbereitschaft ist in den letzten Jahren generell kontinuierlich gestiegen.

Die Bankiervereinigung erklärte aber, die «nicht sehr hohe Zahl von Banküberfällen» sei rückläufig wie auch die Deliktsumme. Mehr zum Thema wollte Sprecher Thomas Sutter «aus Sicherheitsgründen» nicht sagen. Auch nicht die dem Verband bekannte Zahl von Banküberfällen."


Es könnte ja zusammenhängen. Wenn denn die Sache immer schwieriger wird, dann wird die Durchführung immer gefährlicher:

"Wie eine Kurzumfrage bei Geldinstituten ergab, sind sie über die gestiegene Gewaltbereitschaft besorgt. Deshalb investieren sie weiterhin «grosse Summen» in die Schulung des Personals, die räumliche Gestaltung und Überwachungstechnik in den Filialen. «Personenschutz hat absolut Vorrang», erklärte etwa CS-Sprecher Georg Söntgerath. «Wir warnen unsere Mitarbeitenden insbesondere vor falschem Heldentum», sagte UBS-Sprecher Rudolf Bürgin.

Zu Details der Sicherheitsvorkehrungen wollte sich keine Bank äussern. «Jeder Hinweis auf unser Sicherheitsdispositiv ist eine potenzielle Informationsquelle für Kriminelle», begründete die CS. Raiffeisen-Sprecher Franz Würth sagt nur so viel: «Wir versuchen, die Attraktivität der Bank für Räuber so tief wie möglich zu halten.»

Dabei setzen immer weniger Banken auf Panzerglas, weil es gewaltbereite Räuber nicht abschrecke. Der optimale Schutz der Angestellten führe nur «zu einem Risikotransfer an die Kunden», erklärte ein nicht genannt sein wollender Sprecher. Das Rezept seiner Bank: Wenn nur wenig Bargeld in einer Bank zu holen ist, das Personal viel Zeit braucht, um grössere Summen überhaupt aushändigen zu können, und die Überwachung optimal ist, dann werde Bankraub zu einem risikoreichen Gewerbe mit mageren ökonomischen Perspektiven."


Das die gestiegenen Überwachungsmaßnahmen einerseits diejenigen Anfänger und Gelegenheitsbank abschreckt mag sein. Doch diejenigen, die "Profis" sind wissen allzu gut, dass nur ein entsprechend gezeigte Gewaltbereitschaft unter solchen Bedingungen zum Erfolg führt. Ein klassisches Henne-und-Ein-Problem.

Die Mittelbayerische Zeitung (11.1. 2006) weiss:

Mutmaßliche Bankräuber mit Politiker-Masken gefasst
Männer sollen Beutezüge im Großraum Paris verübt haben

Die französische Polizei hat zwei Bankräuber geschnappt, die monatelang mit Masken unter anderem von Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin und Bauernführer José Bové auf Beutezug gegangen sein sollen. Nach Behördenangaben wurden der 50-Jährige und der 33-Jährige am Montag am Pariser Bahnhof Gare de Lyon festgenommen. Die Männer sollen allein im Großraum Paris seit Oktober sieben Geldinstitute mit Waffengewalt um je mindestens 40.000 Euro Bargeld erleichtert haben.

Identifiziert wurden die beiden, weil sie sich ihre Gummimasken mit Gesichtern von Clowns, Greisen oder auch Raffarin und Bové erst nach Betreten der Banken aufsetzten. Bilder einer Überwachungskamera brachten die Ermittler auf die Spur der mutmaßlichen Serienräuber. Bei ihrer Festnahme führten sie zwei scharfe Pistolen und zwei Gaspistolen mit sich."


In Frankreich wurde der Ex-Premier-Minister Raffarin häufiger mit dem Terminus "hold-up" (z.B. Rentenraub) in Verbindung gebracht. Insofern ist es nicht so verwunderlich, dass sein Konterfei für derlei Unternehmungen benutzt wurde. Ob die Nutzung des Gesichts des linken Globalisierungskritikers Bové auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lässt, bleibt derzeit offen.

In Frankreich macht der Fall Hélène Castel Schlagzeilen. Die Tochter des bekannten französischen Soziologen Robert Castel war nach einem ziemlich schiefgelaufenen Banküberfall im Kontext der autonomen Szene nach Mexiko entkommen und vier Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist dann doch festgenommen worden. Der Schweizer Blick (4.1. 2006) ist als eine der wenigen deutschsprachigen Online-Quellen noch vor der Urteilsverkündung auf den Fall eingangen. Heute berichtete auch die Süddeutsche Zeitung (9.1. 2006) über den Ausgang des Prozesses:

"Die zwei Leben der Hélène Castel

Bis vier Tage vor der Verjährung lebte eine Pariser Bankräuberin unerkannt in Mexiko, dann wurde sie gefasst – das Urteil fiel nun mild aus. (...)

castelIm Mai 1980 hatten Hélène Castel und sechs andere junge Leute sich als Bankräuber versucht. Der Überfall auf eine Filiale der BNP-Bank an der Rue Lafayette in Paris war furchtbar schief gegangen. Einer der Mittäter wurde von der Polizei erschossen, einer entkam und ist bis heute nicht identifiziert. Auch Hélène Castel konnte fliehen, wurde dann in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – von dort an rechnete die Verjährungsfrist, 20 Jahre.

(...)

Es waren andere Zeiten damals. Man lebte, wiewohl aus guter Familie, in besetzten Häusern. Schon im Alter von 17 Jahren hatte Hélène Castel die Eltern verlassen, sah sie nur gelegentlich. Sie ließen ihr alle Freiheit, wohl zu viel davon. Der Vater, schon damals ein etablierter Soziologe, erinnert sich, dass man in der Nach-Achtundsechziger-Zeit misstrauisch gegen jede Erziehung war, die als repressiv ausgelegt werden konnte. Er versuchte dem Gericht nun klarzumachen, dass Verbrecher anders aussähen als seine Tochter. Der Vater hatte sie gelegentlich in ihrem Exil besucht.

Irgendwie links

Als damals die besetzten Häuser geräumt wurden, entschlossen sich die Jugendlichen wegzugehen und woanders ein freieres Leben zu suchen. In Südamerika, dachten sie, nach dem Motto: „Oh wie schön ist Panama.“ Sie verstanden sich zwar als antibürgerlich, irgendwie links, wenn auch nicht als Revolutionäre. Doch um abzuhauen brauchten sie Geld. Einer hatte die Idee, eine Bank zu überfallen.

(...)
Auch die Bankangestellten, inzwischen alle pensioniert, zeigten sich von abgeklärter Nachsicht. Am Ende wurde Hélène Castel am späten Freitag zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt, davon neun zur Bewährung. Die Strafe gilt durch die Untersuchungshaft als verbüßt. Hélène Castel konnte, an der Seite ihrer Tochter, das Gericht als freie Frau verlassen. Sie will nun für immer in Frankreich bleiben."


Einige französische Quellen:

Libération (5.1. 2006): Le procès d'Hélène Castel s'est ouvert vingt-cinq ans après les faits. «L'arrestation a été un soulagement pour moi»

L'Humanité (5.1. 2006): « On ne peut pas mettre une étiquette sur cette période ». Justice . À son procès, Hélène Castel apparaît, vingt-cinq ans après les faits, comme une jeune fille des années soixante-dix, naïve et influençable.

L'Humanité (6.1. 2006): Hélène Castel est jugée vingt-cinq ans après les faits. Justice. Cette ancienne sympathisante d’extrême gauche, accusée d’un braquage, avait été extradée du Mexique où elle avait refait sa vie.

Libération (6.1. 2006): Liberté pour Hélène Castel

Le Figaro / Yahoo (7.1. 2006): Hélène Castel ne retournera pas en prison

Der Standard (7.1. 2006) berichtet:

Bankangestellte befestigten Sender an Tasche

Spokane - Mit Hilfe eines Satelliten-Navigationssystems ist es der Polizei im US-Bundesstaat Washington gelungen, einen Bankräuber binnen kürzester Zeit festzunehmen. Die Mitarbeiter der Washington Trust Bank befestigten das GPS-Gerät an der Tasche, in der sie dem Räuber knapp 38.000 Dollar (31.350 Euro) aushändigten. Polizisten spürten das Fluchtfahrzeug auf und nahmen den 38-jährigen mutmaßlichen Täter kurz darauf fest, wie aus Gerichtsakten hervorging.

Der mutmaßliche Bankräuber habe die Polizisten bei seiner Festnahme mit den Worten begrüßt: "Ihr seid gut!", hieß es in den Dokumenten des Gerichts in Spokane. In seinem Auto seien die Beute sowie eine geladene Waffe sicher gestellt worden. Der 38-Jährige wurde nach dem Überfall vom Mittwoch in Haft genommen, seine erste richterliche Anhörung wurde für Montag angesetzt. (APA/AP)


vgl. a. den AP-Beitrag der Seattle Times: "Police use satellite positioning to find bank's bag of cash"

Die Euronews (6.1. 2006) verweisen auf einen Bericht der Europäischen Bankenföderation, die schon mal als NGO gehandelt wird, wonach die Anzahl der Banküberfälle in Europa stabil geblieben ist, wohl aber die Brutalität gestiegen sei (fragt sich nur wie das zu messen ist):

"Die Zahl der Banküberfälle in Europa ist mehr oder weniger gleich geblieben, doch wird dabei mit größerer Brutalität vorgegangen. So die Ergebnisse einer Erhebung der Europäischen Bankenföderation, die neben den 25 EU-Staaten Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz vertritt. Die Verluste durch Bankraub seien dagegen zurückgegangen.

2004 gab es knapp 6.000 Banküberfälle, 0,6 Prozent mehr als im Vorjahr, wobei der Anstieg vor allem in den neuen EU-Staaaten verzeichnet wurde. Die Geldinstitute verloren dabei ingesamt 96,6 Millionen Euro, 19 Prozent weniger als 2003. Dies erklärt sich unter anderem dadurch, dass durch den Wandel im Bankwesen weniger Bargeld in den Filialen zu holen ist, da viele Kunden auf Geldautomaten und andere Alternativen ausweichen.

Insofern befürchtet die Bankenföderation, dass auch die Kriminellen dies tun werden und künftig Überfälle an Geldautomaten und Kartenfälschung zunehmen werden. Alarmiert zeigen sich die Banker von der wachsenden Gewalt, mit der die Räuber vorgehen."

berichtet (Die Welt, 5.1. 2006) unter der Überschrift: Enteignen mit "Dick und Jane"

Es geht um einen Film, nämlich "Dick und Jane", Dean Parisots Remake der heute kaum noch bekannten Satire Ted Kotcheffs "Das Geld liegt auf der Straße":

"Auf der einen Seite erweist sich Parisots Remake als überaus wütende Satire, deren Zorn angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre schon militante Züge annimmt. Der Globodyne-Zusammenbruch erinnert deutlich an den Enron-Skandal. Zudem beschwört der rasante soziale Abstieg von Dick und Jane sehr reale Ängste großer Teile der US-Mittelschicht herauf, die, um gesellschaftlich Schritt zu halten, seit langem über ihre Verhältnisse leben.

Auf der anderen Seite präsentiert sich "Dick und Jane" als typische Jim-Carrey-One-Man-Show. Er schließt er mit seiner extrem exaltierten Darstellung des ahnungslosen Angestellten, der zum bewaffneten Räuber werden muß, um seine Familie ernähren zu können, wieder an seine großen Erfolge der Neunziger an. "


vgl. a. [Matt’s Blog ]:·Sport, Film und mehr… :

"Dick und Jane hat zwar durchaus seine witzigen Elemente und durch die Story gar einen gewissen Anspruch. Dennoch kommt der ganz große Spaß nicht auf und die 90 Minuten Film sind doch sehr schnell vergessen. Eher Standard. Gut ist wieder mal Alec Baldwin, der einen wunderbaren Bösewicht gibt."

Einen netten Beitrag von Bernd Moser und Nadja Kalsow zum nordirischen Millionencoup von Stoffwechsel (Magazin für Politik und Kultur) von fast vor einem Jahr (30.1. 2005) haben wir auf den Webseiten vom Nürnberger Radio Z gefunden.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht ein Interview mit dem Bankraub-Experten und Vabanque-Autor Klaus Viehmann, der sowohl auf die Sympathien in der in der nordirischen Bevölkerung als auch auf die fragliche IRA-Beteiligung eingeht. Klaus Viehmann sah es keineswegs als zwingend an, dass es die IRA war. Der Beitrag bezweifelte insgesamt sehr stark die IRA-Beteiligung, womit die beiden Autoren rückblickend ziemlich richtig lagen.

"Lohnt sich der Bankraub nun oder nicht?". Geschnappt werden vor allem die Anfänger ("armen Schweine") bestätigt Klaus Viehmann: "Insofern kann man nicht sagen, dass es sich nicht lohnt. Es hat sich halt verändert. (...) Der Bankraub hat mit den gewandelten Sicherheitsbedingungen immer Schritt gehalten."

Den Beitrag im Format Mp3 (Dauer: 14.41) downloaden

Natürlich mit entsprechender Mucke aufbereitet ....

 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

powered by Antville powered by Helma

Creative Commons License
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.