Der Handelsblatt-Kommentar ("Zahnlose Justiz", 5.6. 2007) verkündete im Kontext von Kapitalanlagebetrug eine Erkenntnis als Neuigkeit, die gelinde gesagt, schon ziemlich schal riecht. Aber, der Neuigkeitswert besteht für uns darin, dass immerhin mal zugegeben wird, dass Kapitalanlagebetrug ein vielfaches an "Ertrag" bringt, als ordinärer bewaffneter Banküberfall. Damit wird die Frage gestellt, was denn der Unterschied ist, zwischen Kapitalanlage (und den dahinter liegenden Bedürfnissen) und Bankraub. Das Handelsblatt (bzw. Autor F. Wiebe) geht aber nicht so weit zuzugeben, dass es die Profitgier Ihrer Leserschaft ist, sozusagen deren strukturellen Charakterdefizit, der letztlich ihre Gier nach Mehr und Profit den Unterschied zum Bankräuber nivelliert:
"Endlich! Das ist die erste Reaktion auf die Nachricht, dass das Amtsgericht Göttingen gegen Jürgen Rinnewitz als führenden Kopf und zahlreiche weitere Manager der „Göttinger Gruppe“ Haftbefehle erlassen hat.
Etwas ernüchternd ist allerdings der Grund für die Haftbefehle: Es geht keineswegs darum, Betrüger hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Damen und Herren sollen lediglich dazu gezwungen werden, Auskunft über ihr Vermögen zu geben. Das Gericht versucht, noch etwas für die geprellten Anleger der Gruppe herauszuholen. Das Göttinger System, in den frühen 90er-Jahren installiert, ist schnell erklärt. Im Kern beruht es wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen darauf, Anlegern gute Renditen zu versprechen, ihr Geld einzusammeln und diese Renditen dann aus dem Geld neuer Anleger herzuzaubern. Jedem, der bis drei zählen kann, ist klar, dass so ein System nicht ewig weiterlaufen kann. Nun, Rinnewitz und seine Freunde haben es auch nicht ganz so nackt laufen lassen, sondern in ein ganzes Geflecht von Tochterfirmen verpackt: Das Geld der Anleger wurde in diese Tochterunternehmen investiert, die aber direkt oder indirekt allein davon gelebt haben, neue Anleger anzuwerben. Auf diese Weise handelte es sich juristisch um eine Anlage in Unternehmensbeteiligungen – und unterlag damit nicht der Bankaufsicht, gehörte also zum „grauen“ Kapitalmarkt. Dies hat das fröhliche Treiben überhaupt erst ermöglicht.
(...)
Ein Grundproblem, das hat die Göttinger Gruppe gezeigt, besteht darin, dass die Justiz nicht das ganze System einer Kapitalanlage analysiert und daraus Rückschlüsse, zum Beispiel auf betrügerische Absichten, zieht. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es in Deutschland zwar massenhaft Sachverständige für jedes Komma in der Bilanz oder die hinterletzten steuerlichen Abschreibungsregeln gibt, aber bisher nur sehr wenige für Kapitalanlage. Entsprechend hat es die Göttinger Gruppe geschafft, zahllose Prozesse gegen Kritiker in Detailfragen der Bilanzierung oder steuerlicher Würdigung versanden zu lassen und dann mit einem imposanten Aufgebot von zum Teil prominenten Sachverständigen ihre Korrektheit in diesen Nebensächlichkeiten nachzuweisen. Die Frage, ob das ganze System überhaupt einem anderen Zweck dienen kann, als Kunden um ihr Geld zu erleichtern, wurde so trotz jahrelanger Verhandlungen mit Bergen von Akten letztlich nie gestellt.
Irgendwann passierte, was passieren musste: Die Gruppe geriet in Zahlungsschwierigkeiten. Aber selbst dann ist es, wenn sich niemand das gesamte System anschaut, schwierig, direkt eine betrügerische Absicht nachzuweisen. Wollen wir wetten, dass die Justiz mit ihren Haftbefehlen jetzt lauter „arme Leute“ erwischt, die keinerlei Vermögen haben, jedenfalls kein greifbares? Deutschland ist ein Paradies für dubiose Geldjongleure. Alles, was bei uns beaufsichtigt wird wie Banken und Versicherungen, wird zwar relativ gut beaufsichtigt. Wo keine Aufsicht zuständig ist, zum Beispiel auch bei Geldtransporten, sind der Phantasie dagegen keine Grenzen gesetzt. Brecht fragte: Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank? Heute können wir präziser sagen: Wer Banken überfällt, ist dumm. Man kann mit geringerem Risiko zu viel mehr Geld kommen. "
"Endlich! Das ist die erste Reaktion auf die Nachricht, dass das Amtsgericht Göttingen gegen Jürgen Rinnewitz als führenden Kopf und zahlreiche weitere Manager der „Göttinger Gruppe“ Haftbefehle erlassen hat.
Etwas ernüchternd ist allerdings der Grund für die Haftbefehle: Es geht keineswegs darum, Betrüger hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Damen und Herren sollen lediglich dazu gezwungen werden, Auskunft über ihr Vermögen zu geben. Das Gericht versucht, noch etwas für die geprellten Anleger der Gruppe herauszuholen. Das Göttinger System, in den frühen 90er-Jahren installiert, ist schnell erklärt. Im Kern beruht es wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen darauf, Anlegern gute Renditen zu versprechen, ihr Geld einzusammeln und diese Renditen dann aus dem Geld neuer Anleger herzuzaubern. Jedem, der bis drei zählen kann, ist klar, dass so ein System nicht ewig weiterlaufen kann. Nun, Rinnewitz und seine Freunde haben es auch nicht ganz so nackt laufen lassen, sondern in ein ganzes Geflecht von Tochterfirmen verpackt: Das Geld der Anleger wurde in diese Tochterunternehmen investiert, die aber direkt oder indirekt allein davon gelebt haben, neue Anleger anzuwerben. Auf diese Weise handelte es sich juristisch um eine Anlage in Unternehmensbeteiligungen – und unterlag damit nicht der Bankaufsicht, gehörte also zum „grauen“ Kapitalmarkt. Dies hat das fröhliche Treiben überhaupt erst ermöglicht.
(...)
Ein Grundproblem, das hat die Göttinger Gruppe gezeigt, besteht darin, dass die Justiz nicht das ganze System einer Kapitalanlage analysiert und daraus Rückschlüsse, zum Beispiel auf betrügerische Absichten, zieht. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es in Deutschland zwar massenhaft Sachverständige für jedes Komma in der Bilanz oder die hinterletzten steuerlichen Abschreibungsregeln gibt, aber bisher nur sehr wenige für Kapitalanlage. Entsprechend hat es die Göttinger Gruppe geschafft, zahllose Prozesse gegen Kritiker in Detailfragen der Bilanzierung oder steuerlicher Würdigung versanden zu lassen und dann mit einem imposanten Aufgebot von zum Teil prominenten Sachverständigen ihre Korrektheit in diesen Nebensächlichkeiten nachzuweisen. Die Frage, ob das ganze System überhaupt einem anderen Zweck dienen kann, als Kunden um ihr Geld zu erleichtern, wurde so trotz jahrelanger Verhandlungen mit Bergen von Akten letztlich nie gestellt.
Irgendwann passierte, was passieren musste: Die Gruppe geriet in Zahlungsschwierigkeiten. Aber selbst dann ist es, wenn sich niemand das gesamte System anschaut, schwierig, direkt eine betrügerische Absicht nachzuweisen. Wollen wir wetten, dass die Justiz mit ihren Haftbefehlen jetzt lauter „arme Leute“ erwischt, die keinerlei Vermögen haben, jedenfalls kein greifbares? Deutschland ist ein Paradies für dubiose Geldjongleure. Alles, was bei uns beaufsichtigt wird wie Banken und Versicherungen, wird zwar relativ gut beaufsichtigt. Wo keine Aufsicht zuständig ist, zum Beispiel auch bei Geldtransporten, sind der Phantasie dagegen keine Grenzen gesetzt. Brecht fragte: Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank? Heute können wir präziser sagen: Wer Banken überfällt, ist dumm. Man kann mit geringerem Risiko zu viel mehr Geld kommen. "
contributor - am Dienstag, 5. Juni 2007, 08:25 - Rubrik: BankerInnen und PolizistInnen