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Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 

Politischer Bankraub

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haben sich laut einem Jungle-World-Beitrag (1/2008) offenbar wieder verstärkt dem Bankraub zugewendet.


"Her mit dem schönen Leben!

In Griechenland ist es unter Anarchisten in Mode gekommen, sich öffentlichkeitswirk­sam als Arbeitsverweigerer zu Banküberfällen zu bekennen. In der anarchistischen Szene wird dies größtenteils kritiklos bejubelt. "


Schon der Einleitungstext ist im üblichen Jungle-World-BesserLinke-Distinktionsgestus verfasst ...

"Er liebte das Spiel mit Mysterien" lautet die Überschrift eines Interviews von Stefan Reineck und Christian Semler in der taz (4.12. 2007), die den Stalin-Biographien Simon Sebag Montefiore interviewten:

War Stalin letztlich nicht viel mehr als ein Bankräuber? Wie entscheidend war die Gewalt, die der spätere Sowjetdiktator in seiner Kindheit erfuhr? Der britische Autor Simon Sebag Montefiore hat Stalins Privatleben erforscht und dabei eine lebenslange "Haltung der Konspiration" entdeckt.

taz: Herr Montefiore, Sie schildern zu Beginn Ihres Buches die immerwährenden Prügel, die Stalins Eltern ihrem Sohn verabreichten. Welche Bedeutung für die Persönlichkeit Stalins messen Sie dem bei?

Simon Sebag Montefiore: Häusliche Gewalt als erklärenden psychologischen Faktor einzuführen scheint etwas billig. Wie viele Menschen wurden als Kind geprügelt oder hatten einen Vater als Alkoholiker, ohne später zu Tyrannen und Mördern zu werden? Solche Erklärungen sind ähnlich gestrickt wie die These, wir hätten es bei Stalin (oder bei Hitler) schlicht mit Verrückten zu tun. Beide waren sehr effektive Politiker, die das Leben von Millionen Menschen zerstört haben. Sie sind verantwortlich. Man kann sie nicht durch den Hinweis auf Wahnsinn entlasten.

taz: Welche Bedeutung haben die Gewalterfahrungen, die der junge Stalin als Bandit in Georgien machte?

Simon Sebag Montefiore: Die "Kultur der Gewalt" ist ein wichtiger Erklärungsfaktor. Die Gegend, in der Stalin aufwuchs, war durchtränkt von körperlicher Gewalttätigkeit, von der Allgegenwart unterschiedlicher Formen von Terror. Ich würde allerdings nicht speziell von einer georgischen, sondern von einer kaukasischen Kultur der Gewalttätigkeit sprechen. Nicht nur deklassierte Gangster bedienten sich gewaltsamer Mittel wie der Erpressung, des Raubes, der Banküberfälle und der Entführung, sondern ebenso Angehörige der Oberschicht: der Typus des Aristokraten als Outlaw. Man übertreibt in diesem Zusammenhang oft die Rolle von Juden in den Reihen der Bolschewiki. Die Zahl und Bedeutung kaukasischer Revolutionäre war hingegen sehr groß - das wäre ein wirklich interessanter Untersuchungsgegenstand.


Stalin ist eigentliche ein toter Hund. Im Prinzip zielt die Attacke auf Lenin:

"taz: Warum hat Lenin, ein Mensch mit intellektuellem Hintergrund und bürgerlicher Sozialisation, sich so willig auf Stalin eingelassen und das bei Banküberfällen "sozialisierte" Geld akzeptiert?

Simon Sebag Montefiore: Nun, zum einen gibt es auch die russische Erfahrung der Gewalttätigkeit, den Nihilismus, Anarchismus, den "revolutionären Katechismus", der sich der revolutionären Gewalt verschrieben hatte. Aber wichtig ist vor allem, dass Lenin gewinnen wollte. Sein Konzept der Avantgardepartei, das er seit Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgte, stand und fiel mit der Arbeit von Berufsrevolutionären. Das war der wichtige Unterschied zu den Menschewiki. Die Avantgardepartei verlangte nicht nur Disziplin und Aufopferungsbereitschaft, sondern auch Geld, viel Geld. Für die Beschaffung bot der Kaukasus eine ausgebildete Infrastruktur.

taz: Gibt es eine direkte Verbindung zwischen Stalin, dem jugendlichen Banditen und Schutzgelderpresser, und dem Stalin des Massenterrors?

Simon Sebag Montefiore: Sicher. Stalin liebte auch später die Arbeitsmethoden seiner Jugend, geheime Operationen, Überfälle, die Liquidierung von Spionen und Abtrünnigen. Aber er war stets und zuerst Politiker. Der Terror war für ihn Mittel, nie verwandte er Gangstermethoden außerhalb politischer Zielsetzungen. Daran hat sich nie etwas geändert. Als Beispiel zum Verhältnis von Politik und Kriminalität aus der jüngeren Vergangenheit könnte man die IRA heranziehen, die sich sowohl krimineller Mittel bediente als auch - in Ulster - Kontakte zu Gangstern unterhielt, ohne jedoch jemals das "Primat der Politik" aus den Augen zu verlieren. Es gab in der bolschewistischen Partei und ihrem Sympathisantenkreis Leute, die nur und ausschließlich auf Terrorismus spezialisiert waren. Stalin konnte beides - Artikel schreiben und Terror ausüben. Sicher war, was er schrieb, viel unbedeutender als Lenins intellektuelle Produktion. Aber Lenin wäre nie imstande gewesen, beispielsweise ein Attentat zu organisieren. Stalin, der Allrounder, war und blieb Berufsrevolutionär, auch als nach der Niederlage der Revolution von 1905 sich viele Bolschewiki zurückzogen und einen "normalen" Beruf auszuüben begannen."


Weitere Rezensionen Simon Sebag Montefiore:
Stalin. Am Hof des roten Zaren
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 3100506073. Gebunden, 856 Seiten, 24,90 EUR

sowie eine Rezension der englischen Ausgabe

Nach wie vor empfehlenswert, und wesentlich weniger ideologisch, die Sisyphusarbeit von Wladislaw Hedeler: Josef der Räuber - Revolutionärer Terror in Rußland. In: Schönberger, Klaus (Hg.): Vabanque. Bankraub.Theorie.Praxis. Hamburg u.a. 2000, S. 134-147.

Der Dezember ist wie im wirklichen Leben auf arte, der Bankraubmonat.

Mittwoch, 5. Dezember 2007 um 20.40 Uhr
VPS : 20.40
Wiederholungen :
08.12.2007 um 14:00
Zorro und Patty Hearst
(Usa, 2004, 89mn)
ARTE F
Regie: Robert Stone

Aus der Online-Ankündigung

die offenbar auch noch vom Distanzierungszwang getrieben, geschrieben wurde. Vgl. zu diesem Film auch hier im Blog

Mit zahlreichen Archivaufnahmen zeigt der Dokumentarfilm die spektakuläre Entführung von Patricia Hearst, Erbin des amerikanischen Pressemagnaten William Randolph Hearst, im Jahr 1974 durch Mitglieder der revolutionären "Symbionese Liberation Army", kurz SLA. Während sich Patty Hearst kurz nach der Entführung zu den obskuren Zielen der Gruppe bekannte, gab sie nach ihrer Verhaftung an, unter Zwang gehandelt zu haben. Die Jagd auf Patty Hearst und ihre Entführer war das erste moderne Medienspektakel, das die Grenze zur Hysterie erreichte.


ARTE F
1974 wurde Patricia Hearst, Studentin an der kalifornischen Universität Berkley und Enkelin des Pressemagnaten William Randolph Hearst (1863 - 1951), von einer revolutionären Gruppe namens "Symbionese Liberation Army - SLA" entführt. Damit begann ihre Karriere als Medienstar. Wenige Wochen nach ihrer Entführung verwandelte sich das Opfer - offenbar freiwillig - in eine Komplizin. In den folgenden Monaten nahm sie an kriminellen Aktionen der SLA teil, unter anderem an einem Banküberfall, bekannte sich öffentlich zu den Zielen der SLA und bezeichnete ihre Kidnapper als Helden. Als sie im September 1975 festgenommen wurde, erklärte sie, unter Zwang gehandelt zu haben.
Die waghalsige Entführung Patty Hearsts führte zur ersten echten Medienhysterie, die sich noch verstärkte, als Patty unter dem Decknamen Tania zum SLA-Mitglied mutierte. Alle Einzelheiten der Radikalisierung der Gruppe mit ihren illusorischen politischen Vorstellungen wurden vor der Öffentlichkeit ausgebreitet. Es entwickelte sich ein Spektakel, das die schlimmsten Exzesse des heutigen Fernsehjournalismus vorwegnahm.
Aus jetziger Sicht - insbesondere nach dem 11. September 2001 - scheint das zweijährige Versteckspiel zwischen SLA und Sicherheitskräften exemplarisch für die Auswüchse einer überzogenen Ideologie zu sein, das neue Medienverständnis und die romantischen Fantasien des modernen politischen Terrorismus.

ZUSATZINFORMATION
Filmemacher Robert Stone sagt über seinen Dokumentarfilm: "Die SLA stellt vielleicht die letzten Zuckungen einer sozialen und politischen Umwälzung dar, die summarisch mit 'Die 60er Jahre' belegt wurde. Aufstieg und Fall der SLA können als eine Eisenbahnkatastrophe in Zeitlupentempo betrachtet werden, bei der sich die Bewegung bis zu ihrem zwingenden Ende hinzieht, bis sie schließlich in einer gewaltigen Explosion mündet. Die Entführung von Patty Hearst war wie ein Prisma, durch das alle, von links bis rechts und von jung bis alt, zu begreifen versuchten, was der amerikanischen Jugend im vergangenen Jahrzehnt zugestoßen war. Danach hat sich das, was wir die Generation der 60er Jahre nennen, in einem Nebel von Diskomusik und Kokain aufgelöst. Die Revolution, wenn sie überhaupt existiert hat, war beendet."
Robert Stone, von dem auf ARTE bereits "The Satellite Sky" und "Radio Bikini" gezeigt wurden, bettet die Erzählung der Ereignisse in eine virtuose Filmkonstruktion. Der gekonnte Einsatz des Archivmaterials erhellt die zahlreichen Berichte damaliger Protagonisten, insbesondere die von Russ Little, einem ehemaligen SLA-Mitglied.

Es ist eine neue Biographie des jungen Stalin in englischer Sprache erschienen:

Simon Sebag Montefiore, "The Young Stalin", Orion Publishing, 39,39 Euro.

Die Welt (11.6. 2007) rezensiert unter der Überschrift "Die Flegeljahre des Josef Stalin. In der Einleitung heißt es:

"Simon Sebag Montefiore beschreibt in seinem neuen Buch "The Young Stalin" anekdotenreich die Jugend des Diktators. Der Autor enthüllt einen kriminellen, gewalttätigen, zynischen und rücksichtslosen Mann, der sich weder für seine Frauen noch für seine Kinder interessierte."


Natürlich ist in der Welt wenn man Stalin sagt, eigentlich immer Lenin gemeint (wobei ohne eigenen Blick auf das Buch noch nicht klar ist, ob das die Darstellung von Montefiore geschuldet ist, oder selbst zusammengebastelt wurde):

Vor hundert Jahren, im Juni 1907, machte ein spektakulärer Bankraub Schlagzeilen in ganz Europa: Im georgischen Tiflis, schräg gegenüber der blütenweißen und säulenreichen Residenz des russischen Vizekönigs, überfiel eine bewaffnete Bande trickreich, gewalttätig und überaus blutig einen Geldtransport.
Als sich der Rauch der Handgranaten verzogen hatte, war der zentrale Jerewanplatz mit Glassplittern und Pferdeleichen übersät. 40 Tote und genauso viele Verwundete waren zu beklagen – und die Staatsbank hatte etwa die Summe Geldes verloren, die sich Zar Nikolaus II. jährlich als Apanage auszahlen ließ.

Stalin beraubte für Lenin eine Bank
Auftraggeber dieses Massakers war Lenin, um seiner Partei das für den revolutionären Kampf benötigte Kleingeld zu beschaffen – geplant und ausgeführt wurde der Überfall jedoch von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, besser bekannt unter dem Namen Stalin.
Mit dieser Episode beginnt die neue Biografie über die Jugend des Diktators des britischen Historikers Simon Sebag Montefiore, der mit „Young Stalin“ sozusagen die Vorgeschichte zu seinem 2004 erschienenen Bestseller „Stalin: At the Court of the Red Tsar“ nachschiebt.
(...)
Im konspirativen Jargon sportlicher Menschenverachtung nannte man diese Verbrechen „Enteignungen“, die dazu dienten, Geld zu beschaffen für den Mann, dem er sich verschrieben hatte: Lenin.
Der Führer der radikalen russischen Sozialdemokraten, der Bolschewiki, wurde auf Stalins Qualitäten aufmerksam. Hier war jemand, der die Drecksarbeit übernehmen konnte, aber durchaus fähig war, politisch zu denken.
(...)
Lenin hielt sich nicht an die Gesetze
Dies ist die entsetzliche Essenz Stalins, und Lenin bediente sich ihrer, um den Anschein eigenen Anstandes bewahren zu können. Die Tatsache, dass er mehrmals öffentlich Stalin verleugnete, hatte einen einfachen Grund: Die Partei hatte Überfälle verboten, Lenin aber keineswegs die Absicht, sich daran zu halten.
Während Montefiore die Geschichte des jungen Stalin quasi als Räuberpistole ohne sympathischen Helden erzählt, klärt er zwei wichtige Fragen. Beide gehen auf Stalinkritiker zurück, die ihn beschuldigten, selbst ein Doppelagent der Geheimpolizei gewesen zu sein und an der Oktoberrevolution von 1917 keinen besonderen Anteil gehabt zu haben.
Beide Vorwürfe werden überzeugend widerlegt, und man wird sich von Trotzkijs berühmtem Diktum über Stalin als den Mann, „der die Revolution verpasste“, doch verabschieden müssen.


Immer noch empfehlenswert, und wesentlich weniger ideologisch, die Sisyphusarbeit von Wladislaw Hedeler: Josef der Räuber - Revolutionärer Terror in Rußland. In: Schönberger, Klaus (Hg.): Vabanque. Bankraub.Theorie.Praxis. Hamburg u.a. 2000, S. 134-147.

wird ein Beitrag Margrit Klingler-Clavijo für den Büchermarkt des Deutschlandfunks (06.06.2007) über die in Romanform gegossene Biographie des venezolanischen Soziologen und Guerillero Oswaldo Barreto Miliani überschrieben:

Lisa St Aubin de Terán: Deckname Otto. Roman. Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen. 573 Seiten. Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2007. 22,80 Euro


"Die Journalistin und Autorin Lisa St. Aubin hat mit "Deckname Otto" die Lebensgeschichte des venezolanischen Soziologen, Publizisten, Philosophen und Guerillero Oswaldo Barreto Miliani zu einem spannenden Roman verarbeitet. Anfang der 70er Jahre hatte sie ihn in London kennen gelernt, wo er nach einem Bankraub in Venezuela mit ein paar Freunden untergetaucht war; darunter war auch der künftige Ehemann der Autorin. Als Oswaldo Barreto Miliani Anfang der 90er Jahre an Krebs erkrankt war, hat er ihr seine bewegte Lebensgeschichte erzählt, die Lisa St. Aubin de Terán später als Rohmaterial für den Roman diente.

(...)

Oswaldo Barreto Miliani ist weit mehr als ein gesellschaftskritischer Soziologe! Praktisch veranlagt wie er ist, erkennt er im Osten Venezuelas rasch, dass gute Absichten allein rein gar nichts am Elend der Fischer ändern und beschließt, die Royal Bank of Canada in Caracas zu überfallen.

"Ich gehörte zu einer Gruppe, die merkte, dass sie, wenn sie sich tatsächlich in das Dorf eingliedern und nicht herumkommandieren wollte, eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit benötigte und wir eine Zeitung gründen sollten. (...) Da, wo wir mit der Guerilla anfingen, bei den Fischern des Ostens - das sind die Opfer der Fischgroßhändler - und diese Fischer hatten keine Kühlhäuser, und wir wollten mit denen ein Netzwerk aufbauen, Kühlschränke beschaffen, damit sich die Fischer von den Fischgroßhändlern unabhängig machen konnten. Wir brauchten folglich Geld, das uns weder die Sowjets noch die Chinesen geben würden. Die Banken hatten Geld und ich habe nie diesen Generälen geglaubt, die sagten, bewaffnen wir uns und fahren aus. Ich gehörte zu der Gruppe, die den Überfall machte (...) Wir unterstützten damit die Befreiungsbewegungen Mittelamerikas mit mehr oder weniger Erfolg."

Doch bevor Oswaldo Barreto Milani hinter Gitter wanderte, setzte er sich mit ein paar Freunden nach London ab. Als er in den 90er Jahren in Venezuela wegen dieses Banküberfalls gerichtlich belangt werden sollte, hatte er so viele einflussreiche Fürsprecher, allen voran den Schriftsteller Miguel Otero Silva, mit dessen Tochter Mariana er damals liiert war, dass das Gerichtsverfahren vorzeitig eingestellt wurde. Schade, dass die Autorin nicht näher auf die soziologischen Schriften von Otto Barreto Miliani eingegangen ist, wichtige Werke der algerischen Befreiungsbewegung oder der lateinamerikanischen Linken referierte. Da hätte der Roman politische Kontur gewonnen, was seinen Abenteuercharakter keineswegs geschmälert hätte."


Zum Thema Banküberfall hier auch noch ein Zitat aus einem Newsletter über Literatur vom "Unkultur"-Blog (8.4. 2007):

"Packend schildert Lisa St Aubin de Terán die revolutionäre "Zum Laufbahn des Intellektuellen und Guerilla-Kämpfers Oswaldo Barreto Miliani. In den venezolanischen Anden aufgewachsen, schlittert er als rhetorisch begabter Halbwüchsiger gleichsam ungewollt in die kommunistische Bewegung hinein. Erst im Exil in Paris beschäftigt er sich mit deren Ideologien. Auch wenn er sich schon bald nicht mehr mit den Kommunisten identifizieren kann, beginnt nun eine jahrzehntelange Karriere als Revolutionär und Stratege in Algerien, Prag, Kuba, wieder Venezuela, Bolivien und vielen anderen Ländern. Ein perfekt geplanter Banküberfall, den er zur Aufstockung der revolutionären Kasse organisiert, lässt ihn im Mutterland nachhaltiger in Ungnade fallen als seine Guerilla-Aktivitäten. Parallel dazu und mit langen Unterbrüchen baut Oswaldo Barreto Miliani eine akademische Karriere auf, übersetzt Sartre ins Spanische und lehrt wiederholt an der Universität. Seine grossen Lieben, durchaus leidenschaftlich und auch mit Nachwuchs gesegnet, kommen in diesem erfüllten Leben manchmal etwas zu kurz."


Weitere Rezensionen finden sich in der Netzzeitung (23.2. 2007), im Freitag (23.3.2007), und eine Rezension Gustavo Perez-Firmat aus der Washington Post (12.3. 2006) ist überschrieben: "A Lover and a Fighter A Venezuelan revolutionary aims to set the record straight with a fictionalized version of his life."

Il Manifesto (22.8. 2006) - die tägliche undogmatische "Quotidiano communista"
schrieb jüngst eine kurze Geschichte der als Hochsicherheitsgefängnis genutzten und im Nordwesten Sardiniens gelegenen Insel L'Asinara von Antonello Catacchio: "Breve storia di un'isola sempre segnata dalla pena", die wir der Einfachheit halber ganz wiedergeben. Unten geht es um die neuere Geschichte der Strafinsel


L'Asinara, l'antica isola d'Ercole, piazzata lassù, estrema punta nordoccidentale della Sardegna è davvero terra di pena. Relitti di navi, le più antiche di epoca romana, approdo di pirati, postazione d'avvistamento, nel Seicento gli spagnoli fanno edificare tre torri, con relativi soldati. Pochi, per la verità. Come pochi sono stati gli abitanti, incrocio di famiglie di pastori locali e pescatori genovesi. Più volte obiettivo prescelto per un lazzaretto dove inviare i passeggeri e le navi in quarantena. Obiettivo abbandonato e ripreso. La svolta (quasi) definitiva è del 1885, quando viene promulgata una legge per la creazione di una colonia agricola penale e di una stazione di sanità sull'isola dell'Asinara. Per far questo le poche centinaia di abitanti sono espropriate e deportate sulla terraferma. Già alla fine del 1888 si contano sull'isola 254 detenuti che lavorano come allevatori e agricoltori. Buoni i risultati rieducativi, ma ancora insufficienti quelli economici. Il momento più drammatico dell'isola arriva con la prima guerra mondiale.
Tra il 7 e l'8 agosto del 1915 approda, primo di tanti, il piroscafo Tolemaide con 1259 prigionieri austriaci, di cui cinque malati, con il sospetto che si tratti di malattia infettiva che richiede quarantena. Nel volgere di pochi mesi l'isola si trasforma in un campo di concentramento. Immense tendopoli di disperati, laceri, affamati, che dormono accanto ai cadaveri dei compagni. Alla fine sono 24mila gli austriaci transitati per l'Asinara e 5.700 sono ancora lì, nell'ossario del cimitero, morti di colera e di stenti. Anche se, dopo un primo anno infernale, quelli successivi (grazie al dirottamento dei prigionieri verso altri luoghi e al superamento dell'epidemia) segnano invece una situazione molto più civile. Al punto che molti austriaci, al momento di essere liberati, ringraziano con la convinzione di essere stati salvati da quella prigionia. Anche nel 1937 arrivano prigionieri malati dall'Abissinia (si dice addirittura che tra loro ci fosse la figlia di Haile Sellassie). Durante la seconda guerra mondiale non ci furono problemi particolari, salvo dopo il 1943, determinato dai liberandi che non potevano rientrare a casa perché le loro città erano occupate.
L'altra svolta per l'isola avviene nel 1971 quando sono inviati in soggiorno coatto cinque sospetti mafiosi, proprio mentre molti vorrebbero che, dopo la sostanziale dismissione del lazzaretto, venisse archiviata anche la colonia penale per lanciare l'Asinara turisticamente. Invece è solo l'inizio, perché di lì a poco verrà realizzato il supercarcere dove verranno reclusi molti esponenti delle Brigate rosse e i mafiosi più pericolosi. Vi transitano infatti Renato Curcio e Alberto Franceschini, Mario Brusca e Totò Riina, Sante Notarnicola e Horst Fantazzini. Solo un'evasione riuscita, quella di Matteo Boe con la complicità di una donna. Curiosamente finisce in carcere anche il direttore dello stesso carcere, Luigi Cardullo, cinque anni per peculato e truffa. Poi, a fine 1997 si chiudono tutti i carceri e l'isola diventa parco naturale.

Zum Aufstand von 1978 und den Haftbedingungen in Asinara vgl. auch dieses Interview mit Renato Curcio

Der Wikipedia-Eintrag über die Insel in deutscher Sprache ist eher "mittel", denn wirklich informativ.

Aus dem "Handbuch der Stadtguerilla" von Carlos Marighela (Gründer der Widerstandsorganisation „Aliança Libertadora Nacional“,)vom Juni 1969:
In: Alves/Detrez/Marighela (Hg.): Zerschlagt die. Wohlstandsinseln der III. Welt. Hamburg 1971.

Der Banküberfall, populärste Art des Überfalls

Um Aktionen durchfuhren zu können, muß der Stadtguerillero in kleinen Gruppen organisiert sein. Sie umfaßt nicht mehr als 4 oder 5 Männer und heißt Feuergruppe. Mindestens zwei von ihnen, rigoros unterteilt und von ein oder zwei Personen organisiert und koordiniert, bilden eine Feuermannschaft. Zwischen den Mitgliedern einer Feuergruppe muß unbedingtes Vertrauen herrschen. Wer die Schießkunst am besten beherrscht und das Maschinengewehr am besten zu bedienen, weiß, liefert bei den Operationen letztlich die Deckung. Die Feuergruppe plant und führt die Aktionen der Stadtguerilla aus, verschafft und versteckt ihre Waffen und studiert und korrigiert die angewandten Taktiken. Sind Aufgaben zu erfüllen, die vom strategischen Kommando entwickelt worden sind, so haben diese unbedingten Vorrang. Damit ein Maximum an Initiative für die einzelnen Feuergruppen gewährleistet ist, ist es notwendig, jede rigide Organisationsform zu vermeiden.

Die alte Hierarchie und der Stil der traditionellen Linken ist in unserer Organisation liquidiert. Das bedeutet, daß mit Ausnahme der den strategischen Interessen untergeordneten und deshalb vorrangigen Aufgaben jede Feuergruppe einen Banküberfall, eine Entführung, eine Hinrichtung sei es die Entführung eines Agenten der Diktatur, einer genau identifizierten Person der Reaktion oder eines nordamerikanischen Spions beschließen und durchführen und jede Art von Propaganda und Nervenkrieg gegen den Feind führen kann, ohne vorher das strategische Kommando zu konsultieren. Eine Feuergruppe darf nie in Erwartung von Befehlen passiv bleiben. Ihre Pflicht ist es, zu handeln. Jeder einzelne Stadtguerillero, der eine Feuergruppe bilden und in die Organisation eintreten will, kann dies tun und in die Organisation integrieren. Diese Form des Vorgehens beseitigt die Sorgen darüber, von wem Aktionen durchgeführt werden, denn die Initiative ist frei. Was zählt ist der wachsende Umfang der Guerilla-Aktivität, die die Regierungsmacht aufreibt und sie zwingt, sich in eine Defensivstellung zurückzuziehen."

Der Banküberfall, populärste Art des Überfalls. Banküberfälle sind zu der populärsten Art von Überfällen geworden. In Brasilien hat die Stadtguerilla damit begonnen, den Banküberfällen als einer ihrer Operationen organisierten Charakter zu verleihen. Diese Überfallart wird heute weitestgehend benutzt und dient dem Stadtguerillero als eine Art “Vorexamen”, in dem die Technik des revolutionären Krieges erlernt werden kann. Die Technik des Banküberfalles hat inzwischen bedeutende Verbesserungen erfahren, durch die Flucht, Erbeutung des Geldes und unerkanntes Entkommen garantiert werden. Dazu hat insbesondere beigetragen die Zerstörung der Fahrzeugreifen, um die Verfolgung zu verhindern; die Personen einzusperren oder sie zu zwingen, sich auf den Boden zu setzen; die Bankwachen zu fesseln und zu entwaffnen, sie zu zwingen, Geldkassetten und Panzerschränke zu öffnen; die Benutzung von Verkleidungen auf unserer Seite.

Versuche, Alarmanlagen in den Banken zu installieren, sie mit Wachen und nordamerikanischen elektronischen Geräten auszurüsten, führen zu keinem Erfolg, wenn es ein politischer Überfall ist und dieser entsprechend der Taktik des Stadtguerillero ausgeführt wird. Dieser versucht mit neuen Mitteln die technischen Verbesserungen des Feindes aufzuheben und ihnen, zu begegnen. Diese Technik wendet eine täglich wachsende, arglistiger werdende und mehr wagende Feuerkraft an und setzt jedesmal eine größere Anzahl von Revolutionären ein. Dadurch wird der Erfolg von bis ins kleinste Detail geplanten Aktionen gesichert.

Der Banküberfall ist eine typische Enteignungsaktion, bei der wie bei jeder Enteignungsaktion der Revolutionär mit einer doppelten Konkurrenz zu rechnen hat:

1. die des Marginale;

2. die des rechten Konterrevolutionärs.



Als Word-Dokument zum runterladen

Hintergründe zu Carlos Marighelas "Handbuch der Stadtguerilla"

Wikipedia über Carlos Marighela:

"Carlos Marighella (* 5. Dezember 1911, † 4. November 1969) war ein brasilianischer Revolutionär und Theoretiker der Stadtguerilla.

Er gründete eine brasilianische Guerillabewegung und wurde zum bedeutendsten Vertreter der These, die Guerilla müsse vom Land in die Metropolen geführt werden. Marighella wurde 1969 in Brasilien von Militärs getötet. Seine Theorie hatte maßgeblichen Einfluss auf westeuropäische Guerillabewegungen, darunter die Rote Armee Fraktion."

Im Weblog der Schweizer Zeitschrift Hochparterre (News in Architektur, Desing, Kunst und Kultur), erinnert Markus Jakob aus Barcelona unter der Überschrift "Tragikomödie an den Ramblas. Ein Jubiläum" ("Nacherzählt nach einem Artikel in der spanischen Zeitung «La Vanguardia»") an einen Banküberfall mit 300 Geiseln vor 25 Jahre beim Sitz des Banco Central an der Ecke Ramblas/Plaza Cataluña. Die bewaffnete Gruppe empfing die Polizei mit Schüssen. In der Folge "verfiel die Stadt und verfiel im Lauf des Tages die halbe Welt einer kollektiven Psychose", da man an einen neuerlichen Putschversuch der Faschisten glaubte:

"Die Konfusion hielt 37 Stunden an. 1400 Polizeibeamte, mehrere Militärhelikopter, 30 Ambulanzfahrzeuge waren im Einsatz. 24 Stunden nach Beginn der Geiselnahme bezog ein Tank der Polizei vor der Bank Stellung und forderte die dort Verschanzten auf, sich zu ergeben. Sie antworteten mit Hohnrufen, setzten den Kampfwagen mit einigen Schüssen ausser Gefecht ...

Obwohl die Wunschpalette der Geiselnehmer – sie verlangten unter anderem nach Heroin, Wein, Fernsehgeräten und einem Fluchtflugzeug – nicht unbedingt auf eine Gruppe von rechtsextremen Vaterlandsrettern schliessen liess, hielt sich die Verschwörungstheorie, bis es einem Mitglied des Sonderkommandos GEO gelang, einen der vermummten Banditen mit einem Kopfschuss niederzustrecken. Diesen Moment nützten die 300 Geiseln, um das Weite zu suchen; im Schusswechsel der Polizei mit den Bankräubern wurde ein Mann verletzt, ein anderer erlitt einen Herzinfarkt. Der Innenminister stellte anschliessend klar, bei den neun Verhafteten handle es sich um kommune «Anarchisten, Ganoven und Luden»."

In Frankreich macht der Fall Hélène Castel Schlagzeilen. Die Tochter des bekannten französischen Soziologen Robert Castel war nach einem ziemlich schiefgelaufenen Banküberfall im Kontext der autonomen Szene nach Mexiko entkommen und vier Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist dann doch festgenommen worden. Der Schweizer Blick (4.1. 2006) ist als eine der wenigen deutschsprachigen Online-Quellen noch vor der Urteilsverkündung auf den Fall eingangen. Heute berichtete auch die Süddeutsche Zeitung (9.1. 2006) über den Ausgang des Prozesses:

"Die zwei Leben der Hélène Castel

Bis vier Tage vor der Verjährung lebte eine Pariser Bankräuberin unerkannt in Mexiko, dann wurde sie gefasst – das Urteil fiel nun mild aus. (...)

castelIm Mai 1980 hatten Hélène Castel und sechs andere junge Leute sich als Bankräuber versucht. Der Überfall auf eine Filiale der BNP-Bank an der Rue Lafayette in Paris war furchtbar schief gegangen. Einer der Mittäter wurde von der Polizei erschossen, einer entkam und ist bis heute nicht identifiziert. Auch Hélène Castel konnte fliehen, wurde dann in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – von dort an rechnete die Verjährungsfrist, 20 Jahre.

(...)

Es waren andere Zeiten damals. Man lebte, wiewohl aus guter Familie, in besetzten Häusern. Schon im Alter von 17 Jahren hatte Hélène Castel die Eltern verlassen, sah sie nur gelegentlich. Sie ließen ihr alle Freiheit, wohl zu viel davon. Der Vater, schon damals ein etablierter Soziologe, erinnert sich, dass man in der Nach-Achtundsechziger-Zeit misstrauisch gegen jede Erziehung war, die als repressiv ausgelegt werden konnte. Er versuchte dem Gericht nun klarzumachen, dass Verbrecher anders aussähen als seine Tochter. Der Vater hatte sie gelegentlich in ihrem Exil besucht.

Irgendwie links

Als damals die besetzten Häuser geräumt wurden, entschlossen sich die Jugendlichen wegzugehen und woanders ein freieres Leben zu suchen. In Südamerika, dachten sie, nach dem Motto: „Oh wie schön ist Panama.“ Sie verstanden sich zwar als antibürgerlich, irgendwie links, wenn auch nicht als Revolutionäre. Doch um abzuhauen brauchten sie Geld. Einer hatte die Idee, eine Bank zu überfallen.

(...)
Auch die Bankangestellten, inzwischen alle pensioniert, zeigten sich von abgeklärter Nachsicht. Am Ende wurde Hélène Castel am späten Freitag zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt, davon neun zur Bewährung. Die Strafe gilt durch die Untersuchungshaft als verbüßt. Hélène Castel konnte, an der Seite ihrer Tochter, das Gericht als freie Frau verlassen. Sie will nun für immer in Frankreich bleiben."


Einige französische Quellen:

Libération (5.1. 2006): Le procès d'Hélène Castel s'est ouvert vingt-cinq ans après les faits. «L'arrestation a été un soulagement pour moi»

L'Humanité (5.1. 2006): « On ne peut pas mettre une étiquette sur cette période ». Justice . À son procès, Hélène Castel apparaît, vingt-cinq ans après les faits, comme une jeune fille des années soixante-dix, naïve et influençable.

L'Humanité (6.1. 2006): Hélène Castel est jugée vingt-cinq ans après les faits. Justice. Cette ancienne sympathisante d’extrême gauche, accusée d’un braquage, avait été extradée du Mexique où elle avait refait sa vie.

Libération (6.1. 2006): Liberté pour Hélène Castel

Le Figaro / Yahoo (7.1. 2006): Hélène Castel ne retournera pas en prison

Im ak 499 vom 21.10.2005 (leider nicht online) finden wir nun endlich ein paar vernünftige Informationen über den Aachener Prozess gegen drei anarchistische belgische und spanische Bankräuber und ihre Verurteilung zu recht hohen Haftstrafen (Hintergrundinformationen hier):

"Büttel der Exekutive. Prozess gegen die Aachener 4 endete mit hohen Haftstrafen - Interview mit Rechtsanwalt Martin Poell"

Was die taz-nrw mit ihrem Berichterstatter Michael Klarmann aufgrund offenkundiger Ressentiments gegen die SympathisantInnen-Szene nicht hinbekommen hat und nicht wollte, liefert einmal wieder das zuverlässige Monatsblatt "ak - Analyse und Kritik" (früher "Arbeiterkampf" des KB) kurz vor ihrer 500. Ausgabe (Glückwunsch!): Vernünftige Hintergrund-Informationen.


Wesentlicher Punkt des Interviews mit einem Rechtsanwalt der Angeklagten ist die Tatsache, dass seitens des Gerichts überhaupt keine Bereitschaft bestand, die Tatumstände bei der Urteilfindung heranzuziehen bzw. die langjährigen Gefängnisaufenthalte und Foltertraumata der spanischen Beteiligten nicht zu würdigen bereit war, vielmehr ein offensichtlich politischer Wille zur Verurteilung bestand.

Hier ein Auszug, der uns dankenswerter Weise von der ak-Redaktion zur Verfügung gestellt wurde:


ak: Am 28. September wurden Jose Fernandez Delgado zu 14 Jahren und Gabriel Pombo da Silva zu 13 Jahren verurteilt. Bart de Geeter erhielt drei Jahre und sechs Monate und Begoña Pombo da Silva zehn Monate auf drei Jahre Bewährung. Hat Sie das Urteil überrascht?

Martin Poell: Nach dem Gang der Hauptverhandlung kann hier nicht von einer Überraschung gesprochen werden. Es war seit längerem klar, dass das Gericht zu hohen Strafen verurteilen wird. Wenn man bedenkt, dass die Geiselnahme recht kurz war, ca. 20 Minuten, und die Geiseln wieder freigelassen wurden, fragt man sich, wie man dieses Urteil im Verhältnis zu anderen Geiselnahmen als angemessen werten soll. Das Gericht ist fast an die Höchstgrenze des Strafmaßes gegangen. Ich bewerte dies als eindeutigen Strafzuschlag dafür, dass die Angeklagten sich vor Gericht nicht devot und obrigkeitshörig verhalten haben. Die Verurteilung von Bart erfolgte zudem, ohne dass ihm irgendeine Tatbeteiligung nachgewiesen worden ist. Er wurde verurteilt, weil er mit den falschen Leuten unterwegs war. Dies lässt sich treffend mit dem Begriff der Klassenjustiz bezeichnen.

(...)

ak: In welcher Atmosphäre hat der Prozess stattgefunden?

Martin Poell: Von Anfang an herrschte eine angespannte Atmosphäre im Gerichtssaal. Dies begann schon mit den menschenunwürdigen Transportbedingungen von der JVA zum Gericht. Die Angeklagten wurden an Händen und Füssen gefesselt und noch zusätzlich mit einem Leibgurt gesichert. Ihnen wurden Säcke über den Kopf gestülpt und die Gehörgänge mit Ohrstöpseln verschlossen. Sie mussten sich pro Transport mehrfach nackt entkleiden, um immer wieder körperlich durchsucht zu werden. Hiergegen richtete sich der Protest meines Mandanten, der nur noch mit einer Unterhose bekleidet zur Verhandlung erschien. Diese ihm einzig möglich Protestform gegen die regelmäßige Demütigung der Entkleidung war mehrfach Ziel heftiger Attacken der Staatsanwaltschaft.

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ak: Der Vorsitzende Richter Dr. Gerd Nohl räumte in der mündlichen Urteilsbegründung ein, dass Gabriel und Jose nach ihren Erfahrungen in spanischen Knästen, wo sie über zwanzig Jahre z.T. im berüchtigten FIES-Isolationsregime inhaftiert waren, "natürlich" anders reagieren gegenüber Polizei, Gericht und ähnlichen Institutionen. Hat sich diese Haltung des Sitzungsvorsitzenden ihrer Meinung nach an irgendeinem Punkt im Verfahren oder im Urteil niedergeschlagen?

Martin Poell: Diese Aussage kann ich nur als vorgeschoben bezeichnen, da sie sich im Verfahren und auch im Urteil nicht niedergeschlagen hat. Wir haben Anträge gestellt, um das Thema der Folter in Spanien anhand der Erlebnisse von Gabriel und Jose zu belegen. Dem wurde nicht nachgegangen. Wir haben dargelegt, dass beide durch erlittene Folter traumatisiert sind, und wollten Psychologen hören, die sich mit dieser Problematik auskennen. Auch dies wurde abgelehnt, obwohl die anwesenden Psychologen unisono erklärten, keine speziellen Kenntnisse zu folterbedingter Traumatisierung zu haben.

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Dieser Prozess wurde seitens der Staatsanwaltschaft und dem Gericht von Anfang an als politisches Verfahren gegen Anarchisten geführt. Dies begann mit der Beschlagnahme von Post, die mit der Begründung erfolgte, man wolle den politischen Hintergrund der Beschuldigten aufklären, auch wurde der Verkehr zwischen Bart und seinem Verteidiger mehrfach behindert. Zudem zeigte die Inszenierung im Gerichtssaal deutlich die politische Ausrichtung seitens des Gerichts. Dabei wurde von den Angeklagten nie behauptet, dass es sich bei dieser Geiselnahme um eine politische Aktion gehandelt habe. Sie haben selber immer betont, sich falsch verhalten zu haben, und sie haben betont, das, was geschehen ist, sei politisch indiskutabel. Natürlich hat mein Mandant seine politische Einstellung, natürlich diskutiert er diese und ist auch bereit, sich mit allen Interessierten auseinander zu setzen. Uns war jedoch immer klar, dass ein Gericht kein akzeptabler Diskussionspartner ist."

 

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