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Das Weblog zur Volkskunde des Bankraubs

 

Biographien des Bankraubs

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Peter Z., im Werler Knast und in anderen deutschen Gefängnissen bekannt als "Frikadellen-Peter" ist gestern im Allgemeinen Krankenhaus Hagen im Alter von 65 Jahren gestorben. Er war ein Bankräuber "alter Schule" und wurde erst aufgrund seiner Krebserkrankung erst im Oktober 2004 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Er verbrachte aufgrund von Verurteilungen wegen Bankraubs über 25 Jahren im Gefängnis und wurde noch im Alter von 63 Jahren in Sicherungsverwahrung genommen. Seine Entlassung wurde erst nach verschiedenen Interventionen möglich.

Sein Werdegang ist beschrieben in:

Schönberger Klaus: Als »Frikadellen-Peter« in Sicherheitsverwahrung. In: Schulheis, Franz/Schulz, Kristina (Hg.): Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag. Konstanz 2005, S. 525-536.

Dort findet sich auch ein ausführliches Interview mit Peter Z.
Peter Z. wird auch in der K1-Reportage vom Juni 2004 über die Sicherungsverwahrung in Werl erwähnt sowie in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau („Todsicher verwahrt. Eine Initiative von Ärzten und Anwälten erreichen, dass schwerkranke Gefangene in Würde sterben können“, 21.9. 2004) Dort heißt es:

"Als er Blut pinkelte, habe es ihn regelrecht umgehauen. ‚25 Jahre und sechs Monate habe ich an einem Stück rum. Jetzt haben die Ärzte bei mir Blasenkrebs festgestellt’, erzählt der 63-Jährige mit den muskulösen Oberarmen fassungslos. ‚Noch vor drei Wochen war ich Vierter im Gewichtheben von allen Gefangenen.’ Jetzt soll ihm die komplette Blase rausgeschnitten werden. Danach mit geringer Lebenserwartung wieder zurück in die Zelle, das will er nicht. Gierig und schnell saugt er zwischen den Sätzen Luft ein. ‚Also das geht nicht. Ich kann hier nicht in Haft bleiben, auf keinen Fall.’"


Als es Peter Z. am Wochenende zunehmend schlechter ging, versäumte das Hagener Krankenhaus seine nächsten Angehörigen in Hagen zu informieren.

In einem Nachruf seines Freundes Stefan Wisnewski heißt es:

"Es wäre so schön gewesen, wenn er diese zwielichtige Freiheit - nach all den Knastjahren - noch mehr hätte genießen können. Gute Nacht, Frikadellen-Peter"

Dieses Mal im Berliner Tagesspiegel (19.3. 2006) und sogar auf der Dritten Seite:

Der Abenteurer-Roman

Er wollte ein Leben führen, das man nicht in ein paar Minuten erzählen kann. Ludwig Lugmeier – der Dichter und Millionendieb

Es sind schon die besseren Rezensionen, die zu diesem Buch bisher geschrieben wurden. Hier geht es auch um die Bedingungen einer Lesereise, wie sie Lugmeier gerade absolviert.

Wer nochmals detailliert den Ablauf des Postraubes von 1963 nachlesen möchte, der wird im benachbarten Weblog "Blaulicht und Graulicht" aus Wien fündig. Das ist die erste vernünftige Darstellung dieses Ereignisses im Internet, die ich bisher gefunden habe. Und auch Ronnie Biggs wird richtig einsortiert. Endlich mal ein Journalist, der auch tatsächlich recherchiert hat.

Der Tag, an dem …
… Ronnies Mythos bebt


meint der Tagesspiegel (24.2. 2006) behaupten zu müssen:

"Es ist kein guter Tag für Ronald Biggs. Liegt im Belmarsh-Gefängnis in London, gehen kann er nicht mehr, man ließe ihn auch nicht. Sprechen kann er auch nicht nach seinen Schlaganfällen. Eigentlich wollte er noch auf ein Bier in den Margate Pub vor dem großen Abgang, aber da lässt man ihn auch nicht hin. Und dann noch diese Nachricht: Bewaffnete Räuber haben in Tonbridge in Kent etwa 50 Millionen Euro erbeutet, es kann sogar ein bisschen mehr sein. Man zählt noch. Die Polizei spricht vom Coup eines Superhirns, sie spricht vom größten Geldraub Großbritanniens. Ja. Aber war nicht er, Ronnie Biggs, the man, König der Diebe, der legendärste aller 15 Postzugräuber, der Gentleman, der zur Kasse bat? Streng genommen käme Biggs 2029 raus, aber da wird wohl der große Abgang vor sein, 76 Jahre alt ist Biggs, und schwer krank."

Au weia - da liegt nicht nur ein Missverständnis vor - und es wird jede Menge Unfug verzapft.

1. Ronnie Biggs war nicht der legendäre Mister Posträuber, dazu haben ihn die Medien erhoben - er war eine ziemlich kleine Nummer ("he played a very minor part") und wurde als Mr. Ausbrecher berühmt - und desweiteren vor allem deshalb, weil man ihn nicht habhaft werden konnte (Vgl. Dirk Schindelbecks Beitrag in Vabanque)
2. Es wird sich sehr schnell zeigen, ob allein die Summe einen ähnlichen Mythos begründen wird, wie der der Posträuber von 1963.
3. Man muss nicht alles glauben, was die Polizei im Zuge von Fahndungshektik verbreitet.

"Das muss doch nicht sein, dass da ein paar Parvenüs daherkommen und Ronnie Biggs so kurz vor Toreschluss auch noch den Mythos rauben. Hätten die Herren nicht ein wenig warten können? Wo bleibt die Ganovenehre?"

Warum eigentlich auf schon Geschlagene nochmals drauftreten?

"(...) Es war etwas schief gelaufen, der Lokführer musste mit der Kohlenschaufel niedergeschlagen werden, aber das hat dem späteren Ruf als gute Gauner mit Berufsethos nicht geschadet.

Dergleichen bewunderte Diebe hat es immer gegeben, populäre Verbrecher, bei denen das Wort Verbrechen nicht so recht passen will. Auch die jetzigen Räuber sind ohne Gewalt ausgekommen. Da ist man dann schnell bereit, in ihnen ein bisschen Robin Hood zu sehen, Rififi und Thomas Crown ist nicht zu fassen. Fast neidet man ihnen ihren Job. Bei moralischen Bedenken hilft Bert Brecht: „Was ist ein Banküberfall gegen die Gründung einer Bank.“


Der Brecht-Spruch geht zwar auch anders - da ist nämlich vom "Einbruch in eine Bank" die Rede - denn Raubüberfälle nach amerikanischem Vorbild waren in Europa zu der Zeit noch weitgehend unbekannt - interessant ist allerdings, warum dieser Wechsel des Modus von Praxis in der Adaptierung des Satzes so merkwürdig folgenlos blieb.

[Also zum Brechtspruch meinen die meisten Quellen folgendes (Wikipedia):

"Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?" - Die Dreigroschenoper, Druckfassung 1931, Szene 9; Textstelle ursprünglich aus dem Stück "Happy End" von Elisabeth Hauptmann, 1929.]

Den Rest sparen wir uns ...

In der Schweizer Wochenzeitung WoZ wird anlässlich des 25jährigen Jubiläums (Glückwunsch!) in der Ausgabe vom 9. Februar 2006, ein Artikel von Walter Stürm über seine Auslieferung von Spanien in die Schweiz vom 9. Februar 1990 nachgedruckt:

«Ich kam mir vor wie ein Goldtransport»
Von Walter Stürm, z. Zt. Untersuchungsgefängnis Sion

Ende Januar wurde Walter Stürm von der Auslieferungshaft in Madrid in die Schweiz überführt. Dass er das ganze Prozedere ohne grössere Schäden überstanden hat, ist ein kleines Wunder.


Weiter im Text

In diesem Dossier 25 Jahre WoZ findet sich am 9.2. 2006 zugleich "Ein Blick zurück auf Walter Stürms Text" von Daniel Ryser:

Ausbrecherkönig Stürm
Strapazen einer Auslieferung

«Von Walter Stürm, z.Zt. Untersuchungsgefängnis Sion», lautet die Autorenzeile des Textes «Ich kam mir vor wie ein Goldtransport» aus der WOZ Nr. 6 vom 9. Februar 1990. Walter Stürm, berühmt geworden als «Ausbrecherkönig», beschreibt die «Strapazen einer Auslieferung». Am 30. Juni 1989 war Stürm in seinem Appartement im Küstenort Valle Gran Rey auf der Kanarischen Insel La Gomera verhaftet worden. Damit war seine siebte Flucht zu Ende. Nach seiner Auslieferung Ende Januar 1990 beschrieb Stürm der WOZ in einem Brief die Auslieferung. Die WOZ befand aufgrund des Textes: «Dass er das Prozedere ohne grössere Schäden überstanden hat, ist ein kleines Wunder.»

Weiter im Text

Weitere Einträge zu Walter Stürm in diesem Blog: Zu Walter Stürm gibt es zudem einen Wikipedia-Eintrag, bei dem als Quelle allerdings nur die Reto-Köhler-Biographie angegeben ist. Aber immerhin findet sich dort ein erhellendes Zitat aus dem St.Galler Tagblatt (14.02.2005):

"Spätestens mit dem legendären Oster-Coup am 13. April 1981 (...) wurde er zu einer Art Popstar. Zu einem, der den repressiven Staat kraft seiner kriminellen Intelligenz herausforderte. In Zürich rebellierte die Jugendbewegung - einer wie Stürm passte perfekt in den subversiven Zeitgeist."

In einer Rezension "kurz und knapp" befindet die Hamburger Tageszeitung "Die Welt" (30.1.2006) Ludwig Lugmeier und seine Erinnerungen ("Der Mann, der aus dem Fenster sprang") ebenfalls sympathisch:

"Heute lebt Lugmeier als Schriftsteller und Märchenerzähler (!) in Berlin und erzählt in seinem zweiten Buch seine Lebensgeschichte - atemberaubend, pointiert. Lugmeier hat seine Strafe bekommen. Und wie er all dies verarbeitet hat, macht ihn sympathisch."

Weitere Verweise auf Lugmeier in diesem Blog:
http://vabanque.twoday.net/stories/1035761/
http://vabanque.twoday.net/stories/1035875/
http://vabanque.twoday.net/stories/1036316/
http://vabanque.twoday.net/stories/1068356/

Die Netzzeitung (23.1.2006) veröffentlichte eine ausführliche und euphorische Würdigung der Attila-Ambrus-Biographie von Julian Rubinstein, die hier auch schon an zweimal Thema war. Maik Söhler meint, dass auch wenn jemand schon Ekkehard Schwerks Bändchen über die Gebrüder Sass ("Die Meisterdiebe von Berlin) oder Vabanque (herausgegeben von Klaus Schönberger) gelesen habe, die Lektüre nicht nicht langweilig, sondern auch insgesamt "gelungen" sei, weil Rubinstein "nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt":

"Betrunken zur Arbeit"
Eine neue Biografie erzählt die Geschichte von Attila Ambrus. Der ungarische Bankräuber begegnete dem osteuropäischen Turbokapitalismus der Neunziger mit Verbrechen, für die er als moderner Robin Hood gefeiert wurde.

Von Maik Söhler

Wenn man noch nie eine Bankräuberbiografie gelesen hat, dann ist Julian Rubinsteins «Ballade vom Whiskeyräuber» eine wunderbare Einführung ins Thema. Hier erfährt man alles über das Leben und Wirken eines professionellen Verbrechers. Attila Ambrus war in Ungarn eine Zeit lang so berühmt wie Béla Bartók oder Imre Kertész.

Das Magazin «Magyar Hirlap» bezeichnete ihn einmal als «ausdauerndsten, umsichtigsten und meistgesuchten Bankräuber des Jahrhunderts» und übertrieb dabei nur wenig. 29 Bank-, Post- und Reisebüroüberfälle mit einer Gesamtbeute von 775.000 Euro können sich – egal wie man zur Aneignung fremden Geldes steht – sehen lassen.

Von Siebenbürgen nach Budapest


Aber auch wenn man schon mal ein Buch über Bankraub in der Hand hatte, etwa Ekkehard Schwerks «Die Meisterdiebe von Berlin» oder Klaus Schönbergers «Vabanque», langweilt diese im Dezember erschienene Veröffentlichung nicht. Denn Rubinstein weiß Ambrus’ Lebensgeschichte gut in die Zerfalls- und Neuformierungsprozesse eines kleinen Landes einzubetten, das den Staatssozialismus gerade abgeschüttelt hat und es nun mit den Problemen zu tun bekommt, die ein ungehemmter Kapitalismus erzeugt.

Die Person und das System – es geht also um beides in Rubinsteins Biografie, und der Autor macht schnell und überzeugend deutlich, dass diese beiden Aspekte hier nicht voneinander zu trennen sind. Und das liegt an der Zeit, in der die Geschichte spielt.

Als Attila Ambrus am 12. Oktober 1988 nach einer nicht ungefährlichen Flucht aus dem rumänischen Siebenbürgen zum ersten Mal den Boden Budapests betritt, regiert in Ungarn noch die Kommunistische Partei. Noch, denn sie wird schneller abtreten als Ambrus in der Hauptstadt Fuß fassen und ungarischer Staatsbürger werden kann.

Gnadenloser Goldrausch

In Ceaucescus Rumänien wurde er als Angehöriger der ungarischen Minderheit und wegen einiger Bagatelldelikte vom Geheimdienst Securitate beobachtet und musste sich als Hilfselektriker und Kirchenanstreicher durchschlagen. Das brachte nicht viel Geld, führte aber wenigstens gelegentlich zu einem Einkommen.

In Ungarn ist Ambrus’ ökonomische Situation von Beginn an noch prekärer. Er wird Platzwart beim nationalen Eishockeymeister UTE, wofür es aber kein Geld gibt. Als Entlohnung wird die freie Unterkunft in einem Kämmerchen des Vereinsgebäudes festgelegt. Mittlerweile ist der Sozialismus zusammengebrochen und das Land wird, wie Rubinstein schreibt, das «beliebteste Einfallstor für den größten und rücksichtslosesten Goldrausch der letzten Jahre.»

Sich selbst der Nächste


Wo riesige Fabriken verfallen, entstehen Spielcasinos und wo Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihre Existenzgrundlage verlieren, werden einige wenige durch den Ankauf ehemals staatlicher Betriebe plötzlich steinreich. Auch die Lücke, die Budapests KP-Nomenklatura in der städtischen Geldelite hinterlässt, wird schnell von der russischen Mafia geschlossen. Das führt zur höchsten Unzufriedensheitsrate aller osteuropäischen Staaten, die Ungarn haben die «freie Räuberei» rasch satt.

Das ist die Stunde des völlig abgebrannten UTE-Platzwartes, oder, in Rubinsteins Worten: «Jeder war sich selbst der nächste. Und mit diesem Motto hatte sich Attila Ambrus seit jeher identifiziert.» Nach einer kurzen Karriere als Pelzschmuggler zwischen Rumänien und Österreich merkt Ambrus, dass es in Budapest noch einfacher ist, an Geld zu kommen. Es liegt ja auf der Bank, beziehungsweise der Post, die viele Ungarn traditionell dem Bankwesen vorziehen. Und auch in Reisebüros ist was zu holen, da die Kundschaft dort häufig in bar bezahlt.

Whiskey vor der Tat

Und so beginnt Ambrus seine Serie von Überfällen. Am 22. Januar 1993 nimmt er sich seine erste Postfiliale vor und entkommt mit 548.000 Forint, etwa 5000 Euro. Es sind gleich mehrere Charakteristika, die der Budapester Polizei zeigen, dass sie es mit einem Neuen zu tun haben.

Der Bankräuber behandelt das überfallene Personal sehr höflich, verzichtet auf Gewalt – und ist betrunken. Anders gesagt: Attila Ambrus kann den Raub zwar nahezu perfekt und nüchtern planen, doch wenn der Einsatz ansteht, flattern seine Nerven so sehr, dass er vorher zur Whiskeyflasche greift oder sich in einer dem Überfallort nahe gelegenen Bar einige Whiskeys gönnt.

Deswegen nennt ihn die Presse den «Whiskeyräuber». Es folgen 28 weitere Raubzüge, mal allein, mal mit wechselnden Komplizen, meistens erfolgreich, fast immer gewaltfrei und immer angeheitert. Mehr als sechs Jahre lang ermittelt die Polizei, und in dieser Zeit wächst sein Ruhm und seine Beliebtheit.

88 Tore in fünf Wochen

T-Shirts mit dem Aufdruck «I love the Whiskey-Robber» werden gedruckt, halb Budapest sympathisiert mit ihm. Selbst Teile der Medien entdecken einen modernen Robin Hood, einen «Jungen von nebenan, der in einem ungerechten System über die Runden zu kommen versucht», wie es Rubinstein zusammenfasst.

Ganz nebenbei steigt Ambrus im Eishockeyverein auf: vom Platzwart zum Ersatztorhüter und schließlich zum Keeper des Profiteams. Dazu konnte es nur kommen, weil die UTE-Mannschaft ihre guten Zeiten bereits hinter sich hat. Ambrus’ Einsatz macht es nicht besser: «Attilas 1995/96-Saison als Stammtorwart des UTE war die vermutlich schlechteste Performance eines Torhüters in der Geschichte des Eishockeys überhaupt.» Er kassiert 88 Gegentore in fünf Wochen.

Haft bis 2016

Gute drei Jahre später wird Ambrus schließlich gefasst. Die Sicherheitsvorkehrungen der Banken sind besser geworden, und nach einem nur teilweise gelungenen Überfall versucht er über die ungarisch-rumänische Grenze zu entkommen. Dort aber wartet schon die Polizei auf ihn. Er wird angeklagt und wartet im Budapester Gefängnis Gyorskocsi Utca auf den Prozess.

Um nicht zu sagen: der Prozess wartet auf ihn und wird auch noch ein wenig warten müssen. Denn Ambrus bricht im Juli 1999 kurzerhand aus und löst damit, wie sein Biograf schreibt, «den Beginn der größten Verbrecherjagd in der Geschichte des postkommunistischen Europa» aus.

Noch drei Bankfilialen müssen dran glauben, bevor er am 27. Oktober erneut erwischt wird. Diesmal gibt es kein Entkommen, das Gerichtsurteil lautet «15 Jahre Haft», der Delinquent soll auf Anweisung der Richterin nicht in eine normale Haftanstalt kommen. Im Hochsicherheitsgefängnis von Sátoraljaújhely sitzt Attila Ambrus bis heute ein. Im Jahr 2016 soll er voraussichtlich entlassen werden, er wäre dann 49 Jahre alt.

Schaukasten Budapest

Julian Rubinstein hat ein hübsches Buch über Ambrus geschrieben. Man kann es trotz einiger Schwächen – die Distanz zwischen dem Biografen und dem Bankräuber ist oft zu gering, stellenweise sind die Charakterisierungen der handelnden Personen recht simpel, Teile der Handlung werden unnötigerweise ständig wiederholt – als ein gelungenes Schurkenstück bezeichnen. Johnny Depp hat sich die Filmrechte bereits gesichert.

Dass Rubinsteins Buch letztlich gelungen ist, liegt daran, dass er nicht nur Augen für das Leben und Handeln seines Protagonisten hat, sondern auch die Spielregeln der postkommunistischen Epoche in Ungarn kennt.

«Budapest war ein Schaukasten für Scheiße geworden», schreibt er über die turbokapitalistische Besitznahme einer Stadt Mitte der neunziger Jahre, das «einen Kriminellen zum ersten international bekannten Symbol der eigenen modernen Kultur» machte.

Julian Rubinstein: Die Ballade vom Whiskeyräuber. Rogner & Bernhard 2005, 480 S, 21 Euro


rubinstein1Julian Rubinstein "Die Ballade vom Whiskeyräuber".
Aus dem Englischen von Heike Steffen. 496 Seiten. 25 Bilder. Fadenheftung. Fester Einband. Rogner & Bernhard. Bei 2001 für 24,90 EUR

Nun gibt es die hier bereits angekündigte Rubinstein-Biographie von Attila Ambrus auch in deutscher Sprache. Demnächst wollen wir hier noch eine eigene Rezension veröffentlichen. Vorerst mal der PR-Text von 2001:

Für dieses Buch hat sich Johnny Depp schon die Filmrechte gesichert: Die Ballade vom Whiskeyräuber.

Eine wahre Geschichte über Eishockey, transsilvanischen Pelzschmuggel, Banküberfälle und gebrochene Herzen. Ein wunderbares Stück "New Journalism".

Attila Ambrus sitzt im Gefängnis in Ungarn. Seine Strafe dauert noch bis zum Jahr 2016. Dass man ihn vorher entlässt, ist unwahrscheinlich. Attila Ambrus war der Whiskeyräuber, der bekannteste Dieb Ungarns, der die Polizei zehn Jahre lang narrte und sich der Strafverfolgung mehr als einmal durch Flucht entzog. Das werden die Behörden ihm nicht verzeihen.

Und sie werden auch nicht vergessen, dass Ambrus ein Held des Volkes ist, einer der ersten neuen Helden. Das war in den 90er Jahren, als das alte Regime untergegangen war und das neue noch nicht gefestigt. Damals waren in Ungarn, wie im ganzen Osten, goldene Zeiten angebrochen für Abenteurer, Geschäftemacher und Diebe. In sechs Jahren verübte Attila Ambrus siebenundzwanzig Überfälle.

Und die junge ungarische Öffentlichkeit liebte diesen Mann, der mit seinen langen Haaren, seinen breiten Schultern und seinem geraden Blick aussah wie ein Filmstar, der bei seiner Arbeit nie jemanden verletzte, der nur das Geld nahm und verschwand. Mit ihm feierte die Öffentlichkeit die eigene, neugewonnene Freiheit.

Der New York Times-Autor Julian Rubinstein hat die Geschichte von Attila Ambrus penibel recherchiert und ein Buch darüber geschrieben, das zugleich Tatsachenroman und Großreportage ist. Ein wunderbares Stück "New Journalism", für das sich der Schauspieler Johnny Depp die Filmrechte gesichert hat.


Julian Rubinstein "Die Ballade vom Whiskeyräuber". Aus dem Englischen von Heike Steffen. 496 Seiten. 25 Bilder. Fadenheftung. Fester Einband. Rogner & Bernhard.

Zur dpa-Rezension via Stuttgarter Zeitung (29.12. 2005)




Das Cover der us-amerikanischen Orginalausgabe

Zur Webseite von Julian Rubinstein



Attila Ambros im Gespräch mit Julian Rubinstein ("Interviewing Attila Ambrus (the "Whiskey Robber") in Satoraljaujhely, the maximum security prison on the Hungarian-Slovakian border, June 10, 2003.")

Zum MC-Orgelmüller-Song über Attila Ambros

Ein ausführliches Interview mit Ludwig Lugmeier führte die Netzzeitung.

In Teil I "Ich sehnte mich nach Kampf" (14.12. 2005) erzählt er "wie man vom Jäger zum Gejagten wird und warum man auch auf der Flucht nie rennen sollte."

In Teil 2 "Der Dieb muss den Schlaf seines Opfers behüten" (15.12. 2005) unterstreicht er, dass er auf der anderen Seite des Gesetzes stand und hat dort nicht nur Ronnie Biggs getroffen, sondern auch Walter Sedlmayr. Heute vermisst er seine Waffen.

Darin verweist er auf seine Begegnungen mit der "linken Szene" und grenzt seine Biographie von deren Identifikationsbedürfnis ab:

"Netzeitung: Als Verbrecher zieht man doch vermutlich ziemlich viele Leute an, die das Kaltblütige, das Radikale bewundern.

Lugmeier: Ich bin solchen Leuten vor allem in der linken Szene begegnet. Für die ist ja ein Banküberfall ein Angriff gegen die Macht, gegen das Etablissement. Am besten fänden sie es, wenn eine politische Motivation dahinter steckte, oder wenn man das Geld an die Armen verteilte. Dieser idealisierten Rolle entspreche ich nicht. Ich habe auch keine große Lust, Gangstergeschichten zu erzählen. Mein Leben ist kein Kriminalroman.
(...)
Netzeitung: Sie erzählen ja vom Pudding Shop in Istanbul und von den Studentenunruhen in Berlin. Haben Sie die politischen und gesellschaftlichen Bewegungen dieser Zeit damals eigentlich immer nur als Außenstehender wahrgenommen, oder haben Sie sich auch einmal selbst als Hippie oder Revolutionär gefühlt?

Lugmeier: Mit keiner dieser Bewegung habe ich mich jemals identifizieren können. Auch wenn später im Gefängnis sehr intensive Freundschaften mit Leuten aus politischen Bewegungen, etwa der RAF entstanden sind. Ich habe mich aber nie als politischen Menschen empfunden.

Netzeitung: Und ihre Haltung gegenüber Deutschland?

Lugmeier: Davor habe ich mich geekelt. Das hatte mit meiner Kindheit zu tun, wurde aber nicht zur politischen Motivation meines Handelns."

veröffentlichte die Berliner Morgenpost (20.11. 2005) unter dem Titel "Chronist seines Gangsterlebens".
Besonders interessant, dass die gerade im Zusammenhang mit den sogenannten Killerspielen gerade mal wieder behauptete Medienwirkung von populärer Kultur hier so ganz anders erfolgte. Vielleicht wird jetzt ja auch Jerry Cotton verboten:

Wann kam der Gedanke, ein Gangster zu werden?

Wenn ich Groschenhefte wie Jerry Cotton las, stellte ich mich schon als Kind auf die Seite der Gangster. Ich überlegte, wie ich Jerry Cotton eine Falle stellen und ihn abknallen würde. Als ich mit fünfzehn ein Buch von Jack Bilbo las, war ich fasziniert. Er erzählte, wie er als Fünfzehnjähriger in die Dienste von Al Capone getreten war und sein Gunman und Bodyguard wurde. Ich nutzte eine Gelegenheit und floh aus dem Knast, um mich in Palermo bei der Mafia zu bewerben. Dort wurde mir klar, daß seine Geschichten so nicht ganz stimmen konnten.

Vor anderthalb Jahren habe ich mich wieder auf Jack Bilbos Spur gemacht. Er war ein ungewöhnlicher Mensch, Maler, Schriftsteller, Bildhauer, Galerist. Sein Leben als Jude war tragisch. Seine deutsche Familie wurde fast vollständig von den Nazis ermordet. Ihm war es gelungen, durch die dunkelste Zeit des 20. Jahrhunderts zu kommen, und das nicht zuletzt mit Hilfe seiner Räuberpistolen. Heute bin ich mit seiner Tochter Merry in Brighton befreundet, die mir bei einer Arbeit über ihn helfen will.


Und dann ist Lugmeier auch noch einer der Charakter hat und nicht vor jedem dahergelaufenen Journalisten mit Milchbubi-Gesicht sein Gesicht verliert:


Und so einer wollten Sie auch werden?

Von Jack Bilbo, der in Wirklichkeit Hugo Baruch hieß, gingen Impulse aus. Einer davon lautete: Junge, laß dich nicht unterkriegen! Ich bin ihm dankbar dafür.



Weitere Einträge in diesem Weblog:
http://vabanque.twoday.net/stories/1036316/
http://vabanque.twoday.net/stories/1068356/

 

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